Das Wiegen der Seele (German Edition)
auch noch Unterstützung von einem angesehenen Experten zu benötigen scheinen. Wenn die Steuerzahler das erfahren, will ich sowieso nicht in Ihrer Haut stecken, denn dann werde ich S ie höchstpersönlich an die vorderste Front schicken. Was denken S ie sich eigentlich?“
Innerlich war Nettgen hin- und hergerissen. Einerseits hätte er vor Wut explodieren können, andererseits amüsierte er sich königlich darüber, dass sein Chef einen dicken Hals bekam. Der Triumph überwog. Er musste sich ein Grinsen verkneifen.
Widerwillig berichtete er über den aktuellen Ermittlungsstand und hielt sich kurz, machte aber detaillierte Aussagen. Der Chef gab sich mit den Informationen zufrieden, zumindest vorerst. Dann verzog er grimmig das Gesicht.
„Was ich I hnen noch sagen wollte“, meinte er und senkte bedrohlich die Stimme. „Sollten S ie noch ein einziges Mal so mit mir am Telefon reden und sich meinen Anweisungen widersetzen, vergesse ich I hre gute Arbeit und schmeiß S ie sofort raus! Ich hoffe, S ie haben das verstanden!“
Ohne ein weiteres Wort drehte Burscheidt sich um und verließ das Büro. Er ließ Nettgen keine Zeit für eine Antwort. Das war auch besser so, denn Nettgen überlegte bereits an einem dummen Spruch, der gesessen hätte.
Wenige Minuten später klopfte es laut. Nettgen riss die Füße vom Tisch und starrte auf die Tür. Dann holte er tief Luft. Es war Löffler.
„Ach, du bist es, Dietmar. Dachte schon, der Chef hätte was vergessen“, meinte Nettgen erleichtert.
„Hallo Ralf. War ja heftig. Der war bis in mein Büro zu hören“, schmunzelte Löffler. Nettgen grinste, dann platzten die beiden vor Lachen. Nettgen rieb sich die Augen und starrte an die weiße Decke. Löffler nahm Platz, schlug die Beine übereinander, bohrte in seiner Nase und betrachtete seinen Kollegen, der plötzlich in eine aufrechte Sitzposition schnellte und in seinen Unterlagen blätterte. Er zeigte Löffler das entwickelte Bild von der durchgepausten Zeichnung.
„Schau mal, das ist die Zeichnung, die ich im Schließfach gefunden habe. Schade, dass die Überarbeitung nicht scharf genug ist, um die Inschrift der Umrandung besser darzustellen . “
Löffler betrachtete das Blatt, überlegte kurz und analysierte die Zeichnung. Auf den ersten Blick konnte er nichts mit ihr anfangen. Bei näherer Betrachtung jedoch erkannte er zusammenhängende Umrisse.
„Hm ...“, machte er. „ Sagt mir nichts. Was könnte das sein ? “
„Ich weiß es nicht“, antwortete Nettgen. „Aber – fest steht: Jemand hat sich die Mühe gemacht, es mit Bleistift von einem Gegenstand oder Ähnlichem durchzupausen.“
Löffler entspannte sich, streckte die Beine aus und schlug sie wieder übereinander. Dann kaute er für einen Moment, obwohl er nichts im Mund hatte. Schließlich schluckte er kräftig.
„Ralf, wir haben ein echtes Problem. Wir stehen vor einem Rätsel, das kein Ende nimmt. So langsam geht mir die Puste aus. Dazu kommt, dass meine Frau den Mega-Aufstand macht, weil wir morgen nach Kairo fliegen. Ich schlafe kaum noch, die Familie kommt definitiv zu kurz. Ehrlich gesagt: Ich würde den Fall am liebsten abgeben . “
Nettgen stockte der Atem. Löfflers Worte schossen ihm wie ein Pfeil ins Hirn und vor allem ins Herz. Er hatte vollstes Verständnis für Löfflers Situation und wollte ihm daraus auch keinen Vorwurf machen. Nettgen fühlte sich nicht sehr viel anders und konnte diese Gedanken – seit er sein Herz für Maria entdeckt hatte – durchaus nachvollziehen. Er dachte an die Szene im Pub. Ja, er konnte sich vorstellen, wie Löffler sich fühlte – das war neu für ihn.
Er zündete sich eine Zigarette an und überlegte, ob der Qualm an seinen Klamotten haften würde. Das hatte Nettgen noch nie getan. Er erhob sich aus seinem Sessel, schritt zum Fenster und öffnete es. Ein frisches Lüftchen drang herein und wehte den Rauch hinaus. Dann schaute er auf die Uhr und bewegte sich langsam zur Kaffeemaschine, die Zigarette schräg im Mundwinkel. Er schenkte einen Kaffee ein, trat zu Löffler und reichte ihm die Tasse.
„Trink, und dann siehst du zu, dass du heimkommst, ich regle das mit dem Chef. Mach für heute Feierabend und verbringe den Tag mit deiner Familie. Denk mal an was anderes . “
Löffler nahm den Kaffee entgegen und musterte Nettgen.
„Geht es dir gut? So kenne ich dich überhaupt nicht“, meinte er.
„Mir geht es blendend, Dietmar. Ich meine es nur gut, denn du hast vollkommen recht. Ich
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