Das Wiegen der Seele (German Edition)
alle trugen das Zeichen und riefen im Chor: „Anubis – wir gehorchen dir! Anubis – wir gehorchen dir!“
Immer und immer wieder brachten sie diese Beschwörung vor, bis sie sich in einer Art Trance befanden.
Kapitel 11
Am nächsten Morgen saß Nettgen in seiner Stammkneipe. Er hatte sich mit Maria zum Brunch verabredet. Gegen seine Gewohnheit erschien er überpünktlich und wartete schon um neun Uhr auf sie, obwohl er mit den Kollegen vom Personenschutz vereinbart hatte, sie erst um halb zehn zu Joe’s Pub zu bringen . Das Wetter am frühen Morgen schien einen wolkenlosen, warmen Tag zu versprechen. Er hatte sich einen ruhigen Platz im Biergarten ausgesucht, direkt unter einer ausladenden Pappel, etwas geschützt von den Blicken der anderen Besucher, die zu dieser frühen Stunde eher rar waren. Am Morgen war er von den Sonnenstrahlen geweckt worden, die wie ein Laser durch sein Schlafzimmer schossen. Zur Abwechslung hatte er seit langer Zeit einmal ausschlafen können, obwohl er der Abreise nach Ägypten entgegenfieberte.
Er nahm sich im Biergarten Zeit für seine Gedanken und ließ die großen Augenblicke seines Lebens Revue passieren: Seine Geburt (von der er zugegebenermaßen nicht viel mitbekommen hatte), die Polizeischule, die Verletzungen, die er sich bisher eingefangen hatte, und seine tiefen Gefühle zu Maria . Sie hatte ihm buchstäblich Kehle und Magen zugeschnürt. Es war ihm leicht und gleichzeitig schwer ums Herz, seine Knie wurden weich, wenn er an sie dachte. Sie hatte sein Leben vollkommen auf den Kopf gestellt und das machte sie so interessant und einzigartig für ihn. Nettgen wollte gerade seine Gedanken fortsetzen, als plötzlich Silvia neben ihm stand.
„Hallo Ralf“, meinte sie. „So früh? Sehr ungewöhnlich für dich . “
„Guten Morgen, Silvia. Hast recht, aber ich treffe mich mit einer Bekannten. Nein, sagen wir, eher mit der Frau meines Herzens “, erwiderte Nettgen mit einer kleinen Portion Stolz.
Silvia schwieg. Sie s chaute ihn sekundenlang an und meinte dann amüsiert: „Ralf? Alles in Ordnung bei dir? Muss ich etwa eifersüchtig sein? So kenne ich dich ja gar nicht.“
Auch Nettgen schwieg kurz. Sie hatte vollkommen re cht, er war anders. Anders, als er sich selbst kannte.
„Ja“, meinte er dann. „Es ist alles in Ordnung. Ich fühle mich gut. Mir ging es lange nicht so gut wie jetzt.“
„Das freut mich für dich. Wird auch Zeit, dass du mal erwachsen wirst“, schmunzelte sie grinsend. „Soll ich dir schon was bringen ? “
„Gute Idee“, sagte er. „Kaffee am Morgen vertreibt Müdigkeit und Sorgen . “
Silvia nickte. Kaum trat sie von Nettgen weg, erschien Maria.
„Guten Morgen, Ralf“, meinte sie lächelnd, beugte sich ein wenig nach vorn und gab ihm eine n sanften Kuss auf den Mund.
„ Du hast dich ja im hintersten Winkel versteckt, hätte dich fast nicht gefunden. “
Nettgen bemerkte ihre strahlenden Augen und die Freude, ihn zu sehen.
„Hallo Maria. Du siehst bezaubernd aus . “
Sie trug eine eng anliegende weiße Bluse, deren Ausschnitt von einer Spitzenreihe gesäumt war. Sie trug sonst nie Spitzen, aber sie verabredete sich ja auch nie mit einem Mann, der ihr Herz erobert hatte. Maria hatte sich lange nicht mehr so hergerichtet. Sie nahm neben Nettgen Platz, dann schauten sich die beiden tief in die Augen.
„Was ist das für ein Parfüm?“, fragte sie.
„ Faren berg “ , antwortete Nettgen mit unbewegter Stimme. „Warum? Gefällt es dir nicht?“
„ Das ist gut. Sehr männlich , aber zu aufdringlich im Kreise deiner Kolleginnen. Du wirst das wohl wechseln müssen gegen etwas Leichteres. Natürlich nur für den Dienst“ , meinte sie und grin s te. „Und, was gibt es Neues? “
„Na ja“, meinte Nettgen. „Ich habe eine gute und eine weniger erfreuliche Nachricht. Zuerst die gute?“
Erwartungsvoll und ein wenig verängstigt schaute sie ihn an und strich sich durchs Haar.
„Zuerst die gute“, meinte sie.
„O kay , ich werde morgen eine Dienstreise nach Ägypten antreten “, erzählte er ihr triumphierend. Und – weil du es bist – wechsle ich mein Parfüm. “
„ Wenn das die gute Nachricht ist, will ich die schlechte gar nicht wissen “, erwiderte sie trotzig.
Seine Vorfreude war wie weggeblasen. Er hatte gedacht, sie freue sich mit ihm, dass er diesen Fall vor Ort weiterverfolgen konnte.
„ Okay, die schlechte ist, dass ich weder weiß, was mich beziehungsweise uns dort erwartet, noch wie lange
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