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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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nichts übrig, und Kunstgalerien und Konzerte langweilten ihn. Seine Eltern waren beide tot, er hatte nie geheiratet, war im Weltkrieg an der Front gewesen und hatte nach seiner Rückkehr nach England sein Geschäft aufgebaut. Cambridge hatte er weder wegen seiner Schönheit noch wegen seiner geschichtlichen Bedeutung gewählt, sondern einfach, weil es dort kein modernes Kaufhaus gab. Er lebte gut und besaß ein großes, luxuriöses Haus, das Maia auch nach zwei Monaten noch nicht zu Gesicht bekommen hatte.
    Mehr wußte sie nicht über ihn. Er war, vermutete sie, so verschwiegen wie sie. Oder vielleicht gab es auch einfach nicht mehr zu wissen. Vielleicht war Vernon Merchant genau der, der er zu sein schien – ein erfolgreicher Geschäftsmann, ein wenig einsam vielleicht, sonst jedoch zufrieden mit dem, was er erreicht hatte. Er langweilte sie nicht; sie kam nicht recht dahinter, warum er sie nicht langweilte. Weil Macht sie faszinierte? Wegen der Freude, die sie in seinen rotbraunen Fuchsaugen aufblitzen sah, wenn er von seiner Arbeit sprach? Hätte sie nicht ab und zu das gleiche Aufblitzen in seinen Augen gesehen, wenn er sie küßte, sie hätte an ihrer eigenen Macht zu zweifeln begonnen. Er hatte bisher lediglich ihre züchtig geschlossenen Lippen berührt, hatte sie einzig zum Tanzen im Arm gehalten.
    Sie trug ein eisblaues, enges Seidenkleid von der Farbe ihrer Augen, als er sie eines Tages abends abholte. Es war Februar, und der trübe orangegraue Himmel verhieß Schnee. Maia trug Tante Margerys Pelzmantel, den sie heimlich aus dem Schrank genommen hatte. Sie hätte es nicht über sich gebracht, in ihrem abgetragenen alten Schulmantel auszugehen.
    Als sie neben ihm in seinem Automobil saß, nahm er vom Rücksitz eine Decke und legte sie ihr über die Knie. »Wir fahren nach London«, sagte er. »Ein Geschäftsfreund von mir gibt eine Gesellschaft.«
    Auf der langen Fahrt unterhielten sie sich. Über die kleinen Ereignisse des Tages, über die größeren Ereignisse des Weltgeschehens. Das Haus in Belgravia, in dem das Fest stattfinden sollte, stand lichterglänzend unter drohenden Wolken. Diener in Livree nahmen ihnen die Mäntel ab; Maia puderte sich die Nase in einem ganz in Marmor ausgestatteten Badezimmer. Sie speisten und tanzten, und Vernon hielt sie leicht und vorsichtig im Arm. Als sie sich um drei Uhr morgens Margerys Pelzmantel geben ließ und sie die lange Fahrt nach Hause anträten, schneite es.
    Er schloß das Verdeck des Wagens und sämtliche Fenster, aber irgendwie fanden immer wieder Schneeflocken ihren Weg durch die vielen kleinen Ritzen und Spalten. Maia zog die Decke bis zu ihrem Kinn hoch und war froh, daß sie den Pelz hatte. Als sie zwischen endlosen Reihen neuer Doppelhäuser hindurch, die überall um London herum aus dem Boden gestampft wurden, nach Norden fuhren, reichte er ihr eine Taschenflasche.
    »Brandy«, sagte er. »Trinken Sie. Das wird Sie warm halten.«
    Sie mochte Brandy nicht, trank überhaupt selten, weil sie ihre Mutter oft genug nach zu vielen Gin und Wermut erlebt hatte. Aber sie schluckte den Brandy gehorsam und stellte fest, daß er recht hatte; ihr wurde warm.
    »Wird es spät werden?«
    »Vielleicht.« Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er durch den peitschenden Flockenwirbel die Straße zu erkennen. »Wäre das unangenehm für Sie?«
    »O nein. Ich brauche morgen nicht zu arbeiten.«
    »Und Ihre Tante …?«
    »Ach, die stört das nicht.« Aber dann dachte sie an den Mantel und kicherte heimlich, als sie sich Margerys Gesicht vorstellte, wenn diese ihren kostbaren Nerz suchte und nicht fand.
    Er schwieg einen Moment, dann fragte er: »Wie alt sind Sie, Maia?« Die Frage überraschte sie. Es war die persönlichste, die er ihr bisher gestellt hatte. »Neunzehn«, antwortete sie wahrheitsgemäß.
    »Ich bin vierunddreißig. Ich war neunzehn, als der Krieg anfing.« Sie wünschte jetzt, sie hätte den Brandy nicht getrunken, spürte, daß dieses Gespräch wichtig war. Doch Alkohol und Müdigkeit trübten die Klarheit ihres Denkens.
    »Was erwarten Sie vom Leben, Maia?«
    Ehrlich, wie einst zu Robin und Helen, sagte sie: »Ich möchte einen reichen Mann heiraten und in einem schönen Haus wohnen und massenhaft schöne Kleider haben.«
    Er warf den Kopf zurück und lachte mit klaffenden Lippen, unter denen seine merkwürdig spitzen Zähne zu sehen waren. »Warum?« Weil ich mich dann sicher fühlen würde, dachte sie, antwortete jedoch: »Weil ich schöne Dinge

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