Das Winterhaus
–« Ihr Vater fiel Adam ins Wort. Seine Stimme war immer noch wütend. »Ihre Absichten! Was soll das heißen, Sir? Helen ist ein Kind! Ein Kind, das ich vor Männern wie Ihnen schützen muß.«
»Helen ist eine erwachsene Frau, Mr. Ferguson.«
»Sie vergessen sich, Hayhoe. Und Sie vergessen Ihre Stellung im Leben.«
»Meiner Stellung schäme ich mich nicht, Sir. War nicht unser Herr auch ein Zimmermann?«
Helen, die immer noch an der Tür stand, hörte, wie ihr Vater nach Luft schnappte. Seine nächsten Worte waren wie Hammerschläge, mit denen der Sarg ihrer Isolation zugenagelt wurde.
»Sie sind impertinent, Hayhoe! Wie können Sie es wagen, in meinem eigenen Haus so mit mir zu sprechen! Wie können Sie es wagen, auch nur anzunehmen, jemand wie Sie könnte für meine Tochter gut genug sein! Sie werden dieses Haus nie wieder betreten. Sie werden meiner Tochter nicht schreiben und jeden Versuch, sie zu sprechen, unterlassen. Haben Sie das verstanden?«
Helen wartete Adams Antwort nicht mehr ab. Sie wußte, als sie die Treppe hinauflief, daß es genauso kommen würde wie immer; daß Adam sie verlassen würde, wie alle anderen sie verlassen hatten. Schluchzend stürzte sie in ihr Zimmer. Sie hatte ihn verloren. Nachdem sie einen Stuhl unter den Türknauf geschoben hatte, so daß ihr Vater nicht ins Zimmer kommen konnte, warf sie sich auf ihr Bett und wiegte sich weinend hin und her. Sie hörte Adams Schritte auf dem Kies, als er aus dem Haus ging. Sie wußte, daß er nicht zurückkommen würde. Sie hatte ihn ja weggestoßen; sie hatte ihn im Stich gelassen, anstatt ihn gegen ihren Vater zu verteidigen.
Sie hätte gern gewußt, ob man, wenn man ein so einsames Leben führte wie sie, eines Tages einfach zu schwinden begann, bis man nur noch ein halber Mensch war; ob man, um leben zu können, von anderen wahrgenommen werden mußte wie von einem Spiegel, der einem das eigene Bild zeigte; ob man ohne diese Spiegelung wie ein Irrlicht werden würde, halb wahrgenommen im Zwielicht an den Rändern des Moors.
Am folgenden Tag besuchte Adam die Randalls. Seine harte Arbeit hatte in letzter Zeit erste Erfolge gebracht. Ein halbes Dutzend Möbelgeschäfte über ganz England verstreut bestellten nun regelmäßig Sonderanfertigungen bei ihm: Tische und Stühle, Betten und Kommoden, liebevoll aus gutem, feingemasertem Holz gefertigt. Mit zunehmendem Selbstvertrauen hatte er begonnen, den Stücken eine eigene persönliche Note mitzugeben – eine geschwungene Stuhllehne, eine feingearbeitete Gitterkante an einer Kommode, ein bemaltes Paneel. Auf seinen Reisen hatte er gesehen, daß die Welt außerhalb von Thorpe Fen sich verändert hatte, und hatte erkannt, daß in dieser anderen Welt ein Zimmermann nicht zu verheimlichen brauchte, daß er die Tochter des Pastors liebte.
Adam hatte bei der Bank ein Sparkonto eröffnet, um das Geld, das er verdiente, beiseite zu legen. Er mußte seine eigene Werkstatt haben und einige Räume dazu, ehe er Helen Ferguson bitten konnte, seine Frau zu werden. Am liebsten hätte er sie auf der Stelle aus Thorpe Fen fortgebracht, aber er wußte, daß er warten mußte. Er konnte von einem sensiblen, wohlerzogenen Mädchen wie Helen nicht erwarten, daß sie sein unstetes Leben teilen würde. Adam dachte an die tristen Wohnheime und billigen Hotels, in denen er die Nächte zu verbringen pflegte. Ab und zu nächtigte er immer noch hinter einer Hecke, wenn er abends nicht rechtzeitig mehr eine Unterkunft gefunden hatte. Es machte ihm nichts aus, er fühlte sich immer wohl in der freien Natur, aber Helen konnte er ein solches Leben nicht zumuten. Es war dringend nötig, daß er einen festen Ort fand, wo er leben und arbeiten konnte.
Die Szene mit dem Pastor hatte ihn sehr mitgenommen, jedoch an seiner Absicht, Helen zur Frau zu nehmen, nichts geändert. Er erinnerte sich seiner Antwort auf die Beschuldigungen, die Julius Ferguson ihm ins Gesicht geschleudert hatte. »Ich schätze, ich bin nicht gut genug für Helen, Sir. Darum bin ich aus Thorpe Fen fortgegangen. Aber ich werde Tag und Nacht arbeiten – Woche um Woche –, um Helens würdig zu werden.« Und dieser Vorsatz war in den vierundzwanzig Stunden, seit er das Pfarrhaus verlassen hatte, nur stärker geworden. Er war zur Haustür hinausgegangen, nicht zur Hintertür für Personal und Lieferanten. Er hatte es bewußt getan, und er hatte gewußt, wäre nicht Julius Ferguson zwanzig Jahre älter gewesen als er, so wäre er ohne Rücksicht auf
Weitere Kostenlose Bücher