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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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gekommen, wo sie abends unentgeltlich in der Aufnahme, als Hilfsschwester und Mädchen für alles, arbeitete. Flüchtig überlegte sie, ob es nicht besser gewesen wäre, nach Hause zu fahren und sich umzuziehen; sie hatte den Eindruck, daß sie nach ranziger Milch und ungewaschenen kleinen Kindern roch.
    Ein Mann setzte sich neben sie. Sie warf einen verstohlenen Blick auf ihn. Jung, helles welliges Haar, ein Profil wie ein griechischer Gott, mit gerader Nase und hoher Stirn. Robin tat so, als suchte sie etwas in ihrer Tasche, und nutzte die Gelegenheit, um sich rasch im Saal umzusehen. Er hatte sich nicht plötzlich gefüllt; alle Plätze bis auf drei waren immer noch frei. Sie warf einen zweiten Blick auf ihren Nachbarn.
    Er erwiderte ihren Blick, lächelte und bot ihr die Hand. »Francis Gifford«, sagte er. Es war ein Lächeln, als käme plötzlich die Sonne hinter den Wolken hervor. Seine Augen waren hellgrau mit einem dunkleren Ring um die Iris.
    Sie nahm die Hand. »Robin Summerhayes.«
    »Was für ein schöner Name! Da steckt ja das ganze Jahr drin – sofort fallen einem Blumen und grüne Wiesen und Weihnachten und Eiszapfen zugleich ein.«
    Da es die Jahresversammlung war, fragte sie neugierig: »Kandidieren Sie für einen Posten – Francis?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich hab daran gedacht, aber das schränkt einen doch ziemlich ein, nicht wahr? Die Parteilinie und so weiter. Der Hauptspaß bei diesen Versammlungen sind doch die Debatten am Ende des Abends.«
    Der Saal füllte sich allmählich. Francis legte eine Hand auf den leeren Stuhl an seiner Seite. »Da sitzt Joe«, sagte er jedesmal, wenn jemand sich setzen wollte.
    Der Stuhl war immer noch leer, als die Versammlung begann. Irgendwann im Lauf des Abends, als Robin, der von Vorschlägen, Anträgen und Tagesordnungspunkten der Kopf schwirrte, schon Mühe hatte, sich zu konzentrieren, ging hinten die Tür auf, und Francis drehte sich herum, sprang auf und winkte. Jemand nahm neben ihm Platz. Schon war die nächste Abstimmung an der Reihe; im allgemeinen Stimmengemurmel und Papiergeraschel rundherum sagte Francis leise: »Robin – das ist Joe Elliot.«
    Joe nickte Robin mit mißmutiger Miene zu. Er war das Gegenteil von Francis, dachte Robin – dunkel und mager, mit einem hungrigen Gesichtsausdruck. Wäre er Daisy vorgestellt worden, sie hätte ihn sofort an den Küchentisch gesetzt und ihm eine Riesenmahlzeit gekocht.
    Francis warf Joe einen Blick zu. »Lassen Sie sich von ihm nicht stören – seine Freundin hält ihn in letzter Zeit ein bißchen kurz.«
    »Halt die Klappe, Francis.«
    »Er sollte es machen wie ich – enthaltsam leben.«
    Joe lachte spöttisch. Robin richtete ihren Blick geradeaus und versuchte ohne großen Erfolg, sich auf die Wahl eines Pressesprechers zu konzentrieren. Als der letzte Posten besetzt war und die Sitzung geschlossen, stand sie auf und nahm ihre Tasche, Regenmantel und Schirm. Die untere Naht an der Tasche, die schon seit Wochen zusehends rissiger geworden war, platzte genau in diesem Moment, und ihr vergessenes Mittagsbrot, Portemonnaie, Haarbürste und Taschentuch fielen zu Boden.
    Alle drei krabbelten unter den Stühlen herum. »Oh, Brote«, sagte Francis, als er das in Pergamentpapier eingewickelte Päckchen aufhob. Er schnupperte daran. »Fischpastete?«
    Eine Orange rollte über den Boden. »Essen Sie nicht?« fragte Francis.
    Robin wußte, daß sie knallrot im Gesicht war. »Ich hatte heute keine Zeit … Ich war mit meiner Arbeit hinterher …«
    »Ich mache Ihnen ein Omelett.«
    Beinahe hätte sie gesagt: ›Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, Mr. Gifford, aber das kann ich unmöglich annehmen‹, doch sie verkniff es sich gerade noch. Sie war nach London gekommen, um sich ins Leben zu stürzen, und hier, dachte sie mit plötzlicher Erregung, wurde ihr eine Chance geboten.
    »Das wäre sehr nett.«
    Den ganzen Weg zu Francis' Wohnung redeten sie. Genauer gesagt, Francis und Robin redeten, während Joe schweigend, kaum die Füße hebend, neben ihnen her trottete. Es regnete immer noch. Sie warfen die Überreste von Robins Mittagsbrot in einen Abfalleimer und teilten sich ihren Regenschirm. Francis ging ihr voraus eine kurze Treppe hinunter und sperrte eine Souterraintür auf.
    Robin entfuhr ein kleiner Ausruf der Überraschung, als sie eintrat. »Wir hatten ein paar Leute da«, erklärte Joe. Er lächelte spöttisch über ihre Verblüffung.
    Nirgends war Platz, sich zu setzen. Stapel von Büchern und

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