Das Winterhaus
weg. Sie hörte, daß ihr Vater hinausging, und blieb einen Moment lang zitternd stehen und überlegte, ob sie ihm nachlaufen sollte oder nicht. Dann begann sie Eier aufzuschlagen, Zucker abzuwiegen. Während sie die Eier verquirlte, hatte sie das Gefühl, der eiserne Ofen entziehe dem Raum die ganze Luft und die kleinen Fenster mit den quadratischen Scheiben raubten ihr das Licht.
Die Erkenntnis, daß Büroarbeit ihr Schwierigkeiten bereitete, hatte Robin erschüttert. Daß sie langweilig sein würde, hatte sie erwartet, daß sie jedoch auch noch schwierig war, das war eine unangenehme Entdeckung. Nach mehr als sechs Monaten war sie noch immer nicht mehr als eine bescheidene kleine Schreibkraft, und was ihr an Fehlern unterlief, reichte aus, sie daran zweifeln zu lassen, ob sie wenigstens diese Stellung behalten würde.
Sie suchte die Niederlagen des Tages auszugleichen, indem sie sich mit voller Energie in ihre freiwilligen Helfertätigkeiten stürzte. Mehrere Abende in der Woche arbeitete sie in der Freien Klinik, die von dem barschen, aber seelenguten Dr. Mackenzie geleitet wurde. Die Klinik, die vom Gemeinderat und mit freiwilligen Spenden finanziert wurde, verteilte kostenlos Milch und Orangensaft an werdende Mütter und ihre Säuglinge, führte Schwangerschafts- und Säuglingspflegekurse durch und bot Information und praktische Hilfe zur Geburtenregelung an. Robins Aufgaben wechselten je nach Bedarf, wenn sie nicht in der Anmeldung gebraucht wurde, betätigte sie sich als Putzfrau oder Säuglingspflegerin. Dr. Mackenzie schimpfte sie oft aus, wenn sie Fehler machte, aber nie kam sie sich, wenn sie die Klinik verließ, so dumm und nutzlos vor wie nach einem Tag in der Versicherungsgesellschaft.
Als sie an einem Tag Anfang Mai aus dem Büro nach Hause ging, las sie an den Reklamebrettern der Zeitungshändler vom triumphalen Wahlsieg der Labour Party. Sie stieß einen so lauten Juchzer aus, daß mehrere Vorüberkommende sich nach ihr umdrehten und sie anstarrten.
Sie, Joe und Francis hatten in den vergangenen Wochen unermüdlich gearbeitet. Zusammen mit Francis Gifford war Robin straßauf, straßab gelaufen, hatte Flugblätter verteilt und an zahllose Türen geklopft. Sie hatte entdeckt, daß es Francis nicht an Überzeugung fehlte. Wenn man ihm zuhörte, gab es keinen Zweifel, daß er jedes Wort, das er sagte, auch glaubte. Ganz gleich, wer ihnen die Tür öffnete, sein Blick und seine Stimme wirkten Wunder und vermochten auch den Gleichgültigsten oder Verdrießlichsten zu Aufmerksamkeit und letztendlicher Zustimmung zu bewegen.
Joe, der zu Hause blieb, druckte die Flugblätter. Schwarz von Druckerfarbe, brachte er die launische alte Presse mit abwechselndem Fluchen und gutem Zureden dazu, Handzettel und Plakate auszuspucken. Zu schlafen schien er niemals. Bei Tag und Nacht dröhnten die Wände der Souterrainwohnung unter dem Rattern der Presse.
Nachdem Robin gegessen hatte, ging sie zu Francis und Joe. Schon auf der Straße konnte sie das Getöse aus dem Keller hören, das alle anderen Geräusche auf der Straße übertönte. Sie trommelte laut an die Tür.
Die Frau, die ihr öffnete, hatte schmal gezupfte Augenbrauen, smaragdgrüne Augen und glänzendes schwarzes Haar, das wie eine Kappe um ihren Kopf lag.
»Was kann ich für Sie tun, Darling?«
Drinnen, in der Wohnung, ging es hoch her: Es wurde getanzt, gesungen und getrunken. »Ist Francis da?«
Die Tür wurde ein wenig weiter geöffnet: »Im Bad, Darling«, sagte die Frau und verschwand.
Mindestens hundert Leute schienen in den vier kleinen Zimmern zu toben. Einige kannte Robin von ILP-Versammlungen. Die Druckerpresse war mit roten Fahnen geschmückt, und in der Küche stand plötzlich ein Klavier. Irgend jemand hatte mit knallroter Farbe an die Wand geschmiert: »Arbeiter der Welt, vereinigt euch!«
Robin drängte sich durch das Gewühl, um nach hinten zu gelangen. Sie fand Francis vollbekleidet in der leeren Badewanne.
»Robin, Schatz!« Er warf ihr einen Handkuß zu und schwenkte eine Flasche. »Such dir ein Glas. Wir feiern die Wahl …«
Sie nahm ein Glas, das auf dem Boden stand, und wischte den Rand mit dem Ärmel ihrer Bluse ab. »Ist es nicht toll?«
»Der Anbruch einer neuen Ära!« Francis goß Bier in Robins Glas und sein eigenes. »Wir erleben den Todeskampf des Kapitalismus.« Sie sah sich um. »Wer sind all diese Leute, Francis?«
»Oh …«, antwortete er vage. »Genossen … Kontakte … und einige sind Freunde von
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