Das Winterhaus
Vivien. Joe ist auch irgendwo hier. Komm, setz dich zu mir, Robin, und trink ein Bier mit mir.«
Sie stieg in die Zinnwanne und setzte sich ihm gegenüber. Ihre angewinkelten Knie berührten die seinen. Das Bier stieg ihr rasch zu Kopf.
»Ist schon toll«, sagte Francis träumerisch. »Ramsay MacDonald wieder als Premierminister. Da wird sich alles ändern, Robin. Schluß mit den aufgeblasenen Eseln in Zylindern und Schwalbenschwänzen … jetzt wird jeder zu Wort kommen … ich sag dir, als ich mein Kreuz auf dieses kleine Stückchen Papier gesetzt habe, also … ich hab mich richtig gut gefühlt bei dem Gedanken, daß ich zu einer Veränderung der Dinge beitrage. Ist es dir nicht auch so gegangen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich darf noch nicht wählen, Francis. Ich bin noch nicht alt genug.«
Die Frau mit den grünen Augenlidern kniete neben der Wanne nieder. »Robin ist erst neunzehn«, erklärte Francis. Seine Worte klangen ein wenig undeutlich, und sein Haar war zerzaust.
»Gott, wie herrlich jung! Ich kann mich kaum an die Zeit erinnern, als ich neunzehn war. Es kommt mir vor, als wäre das ewig her.«
»Ja, weil du eine alte Schachtel bist, Diana.« Francis starrte in sein leeres Glas. »Mist – ich hab nichts mehr zu trinken.«
»Wärst du so nett, Darling?« sagte Diana zu Robin. »Ich habe keine Schuhe an.«
Dianas Füße waren nackt, wie Robin sah. Ihre Zehennägel waren schwarz lackiert.
Als sie mit Francis' Glas zurückkam, war Diana in der Wanne und saß auf Francis' Knien. Robin stellte das Glas auf den Boden und machte sich auf die Suche nach Joe. Sie fand ihn im kleinen Garten, wo er mit einer Frau und einem Kind zusammensaß und aus übriggebliebenen Wahlzetteln Papierflieger faltete.
Joe sah auf, als Robin erschien. »Das sind Clodie und Lizzie. Das ist Robin Summerhayes, Clodie. Eine Genossin.«
»Freut mich sehr«, sagte Clodie. Das kleine Mädchen kicherte und hielt ihre Hände vor ihr Gesicht. »Benimm dich«, ermahnte sie ihre Mutter scharf, und Lizzie bot Robin ihre kleine, von Druckerfarbe geschwärzte Hand.
Während Robin das kleine Mädchen begrüßte, musterte Clodie sie aus schmalen grünen Augen und tat sie als unwichtig ab. Clodie war nach Robins Schätzung einige Jahre älter als Joe. Und sie war so schön wie Maia, aber auf eine andere Art. Francis hatte ihr schon vor Wochen erzählt, daß Clodie Joes Geliebte war. Wahnsinnig Burne-Jones, hatte er hinzugefügt, und jetzt verstand Robin, was er gemeint hatte. Clodie hatte ein Gesicht wie Milch und Blut, von ihrem Haar umrahmt wie von einer üppigen roten Wolke, und einen wohlgebildeten, lockenden Körper. Das Kind, Lizzie, schien von der Schönheit seiner Mutter wenig geerbt zu haben; es war schmächtig und unscheinbar.
»Einer von meinen Fliegern ist in den Garten nebenan geflogen«, erzählte Lizzie Robin.
Sie hatte plötzlich ein überscharfes Bild von sich selbst, wie sie auf dem Sofa neben Stevie saß und zusah, wie er ein Blatt Papier zu einer Schwalbe faltete. Er hatte seine Schuluniform angehabt; sie selbst konnte nicht älter gewesen sein als das Kind, das neben ihr saß.
»Meine machen alle eine Bauchlandung«, bemerkte Clodie gelassen.
Joe ließ eine weitere Schwalbe fliegen. Sie stieg zum Himmel hinauf, segelte einen Moment leicht und schwebend durch die Luft, ehe sie sich mit der Nase voraus in den Boden bohrte.
»Die Geschichte meines Lebens«, sagte Joe, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und streckte sich im struppigen Gras aus. Später am Abend – oder vielleicht war es auch schon Nacht – tanzte sie. Sie kannte die Namen ihrer Partner nicht und erinnerte sich an keines ihrer Gesichter. Dann saß sie plötzlich am Klavier und spielte, während der Pianist schnarchend in einer Ecke lag. Sie schaffte es, die meisten Töne richtig zu greifen und so kräftig auf die Tasten zu hauen, daß die Musik gehört wurde.
Sie sah, wie Joe Clodie zum Abschied küßte, und stieß, als sie in die Küche torkelte, auf Francis und Diana in leidenschaftlicher Umarmung. Robin wußte, daß sie zum erstenmal in ihrem Leben betrunken war. Sie merkte es daran, daß sie, statt sich taktvoll zurückzuziehen, zu Joe hinauslief, ihn am Arm packte und herumdrehte.
»Wer ist diese gräßliche Frau mit den grünen Augenlidern?«
»Eifersüchtig?«
»Überhaupt nicht. Aber die ist bestimmt nicht bei jedem Wetter durch die Straßen gelaufen und hat sich von bissigen Hunden anbellen lassen …« Sie hörte selbst, wie
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