Das Winterhaus
der Frau nach, als sie die Straße hinunterging. Nach einer Weile war ihm klar, daß er nicht diese Treppe hinaufgehen und an diese Tür klopfen würde. Denn wenn er das täte, würde ihn der Dienstbote, der ihm öffnete, genauso ansehen wie soeben der Kellner, als er seine alte Cordhose, die an den Ellbogen durchgescheuerte Jacke und die abgelaufenen Stiefel gemustert hatte. Und wenn er dann sagte: ›Ich bin Thérèse Elliots Sohn‹, würden sie ihm ins Gesicht lachen. Selbst wenn es ihm gelänge, sie zu überzeugen, würden sie ihn dennoch anstarren, sich dennoch ihre Gedanken machen. Er würde erst dann diese Treppe hinaufsteigen und an diese Tür klopfen, wenn er etwas aus seinem Leben gemacht hatte.
Der Haken war nur, dachte er, daß er keine Ahnung hatte, was er daraus machen sollte. Sein Vater hatte erwartet, daß er in die Spinnerei eintreten würde, und sie hatten sich über diese Frage entzweit. Joe wollte studieren, sein Vater jedoch meinte, das College sei etwas für verwöhnte, reiche Jüngelchen. Daraufhin war er von zu Hause weggegangen und hatte die vergangenen fünf Jahre mehr oder weniger in den Tag hineingelebt. Er war wieder mit Francis zusammengetroffen, und er hatte sich in Clodie verliebt. Er war der Labour Party beigetreten, da er dort etwas fand, das seinen Überzeugungen entsprach; er hatte sich irgendwie über Wasser gehalten, aber das war auch alles. So viele schienen ein Ziel zu finden, er hatte keines.
Joe zog an seiner Zigarette und trank seinen Branntwein. Einige der Studenten, die an den Tischen rundherum saßen, trugen blaue Regenmäntel und Mützen, die Uniform der Jeunesses Patriotes , einer faschistischen Organisation. Auf dem Tisch vor ihnen lag eine Ausgabe des L'Ami du peuple , eines widerlichen rechtsextremistischen Blatts. Joe warf alle Münzen, die er in der Tasche hatte, auf den Tisch und ging. Draußen machte er sich auf die Suche nach einer Seitengasse, die hinter das Haus seiner Verwandten führen würde. Es gab mehr als einen Weg, eine Festung zu erstürmen.
An dem Morgen, an dem Joe nach Paris abgereist war, war Robin um sechs erwacht. Seitdem hatte sie einen lustlosen Versuch gemacht, die Wohnung aufzuräumen, hatte Croissants und Baguettes zum Frühstück gekauft und sich erfolglos bemüht, ihren Eltern eine Weihnachtskarte zu schreiben.
Francis stand um neun auf, wanderte in Angus' extravagantem rostrotem Morgenrock in der Küche umher, mahlte Kaffeebohnen und machte Kaffee. Mit seiner Kaffeetasse in der Hand stellte er sich neben Robin, die durch das Fenster zum Strand hinausblickte. »Hast du Lust auf einen Spaziergang?«
Sie zog ihren Mantel über, und sie gingen zum Meer hinunter. Die Strandpromenade aus Holzplanken war glitschig und menschenleer bei dem Wind und dem Regen. Am Wasserrand schlugen die Wellen schäumend auf den feuchten Sand. Francis baute eine riesige Sandburg mit barocken Türmchen und Muscheln und Verzierungen aus Seetang, bis die Flut kam und sie ins Meer zurückholte. »Na, wenn das nicht symbolisch ist!« sagte Francis. Er sah auf seine Uhr. »Schon eins. Wollen wir was essen? Ich kenne ein nettes kleines Restaurant.«
Er nahm Robins Arm und ging mit ihr durch die Stadt. Am Horizont ballten sich graue Wolken zusammen, und die Regenschauer wurden beharrlicher.
Das Restaurant war klein, nur ein halbes Dutzend Tische. Um den Tresen drängten sich Fischer – stämmige kleine schwarzhaarige Männer, die rauchten und tranken. Von den Fensterrahmen blätterte die Farbe ab, und ein verblichenes Reklameplakat für Pernod war die einzige Dekoration.
»Vivien und ich haben einmal in Deauville Urlaub gemacht – oh, vor Jahren. Sie war gerade ausnahmsweise ohne Ehemann. Wir haben jeden Tag hier gegessen. Das Essen ist absolut köstlich.« Francis zog Robin einen Stuhl heraus, und sie setzte sich. »Besonders die fruits de mer .«
»Das hab ich noch nie gegessen.«
»Beim erstenmal schmeckt's immer am besten.« Francis winkte dem Kellner.
Robin saß in dem schäbigen kleinen Restaurant und dachte, daß das Leben nicht schöner sein könnte. Sie rauchte eine Zigarette, während sie auf das Essen warteten, und fühlte sich sehr erwachsen und welterfahren. Der Geruch nach Knoblauch und Gauloises war herrlich, und es erschien ihr beinahe unverschämt dekadent, zum Mittagessen schon Rotwein zu trinken. Sie beglückwünschte sich dazu, der trostlosen Langeweile von Blackmere Farm entkommen zu sein, dem ewigen Einerlei von Weihnachten in der
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