Das Winterhaus
trinken.
»Guy und Charis müßten auch gleich kommen. Und bei Fortnum's hab ich zufällig Angus getroffen.«
»Wo ist Joe?«
Francis war unsicher. »Bei Clodie, denke ich.« Er zündete sich eine Zigarette an. »Ich glaube, Joe hat Angst, daß sie ihn betrügt. Was sie natürlich tut. Darum behält er sie im Auge.«
»Joe bespitzelt Clodie? Aber Francis! Das würde er doch nie tun.«
»Joe liebt sie. Die Menschen tun die merkwürdigsten Dinge, wenn sie lieben.«
Ohne besonderen Grund dachte sie an Maia und Vernon. Maia hatte Vernon nie geliebt, aber hatte Vernon auf seine perverse Art vielleicht Maia geliebt?
»Ach Liebe«, sagte Robin gereizt. »Es geht doch immer nur um Sex und Besitz. Es ist absolut lächerlich.«
»Ganz recht. Schrecklich bürgerlich.« Francis lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und kniff die Augen zusammen. »Trotzdem tut mir der arme Kerl irgendwie leid.«
Andere kamen an ihren Tisch: Guy Fortune, der Gedichte schrieb, und seine Schwester Charis und ein Kommunist, der ab und zu Flugblätter bei Gifford Press drucken ließ. Angus, den Robin in Long Ferry Hall kennengelernt hatte, erschien mit einer gefärbten Blondine am Arm. Selena Harcourt, eine Malerin, hatte fast eine ganze Jazzband im Schlepptau. Wer Geld hatte, spendierte die Drinks, und die Trinksprüche wurden mit jedem Glas phantastischer.
Um Mitternacht gingen sie. Gelblicher Nebel färbte die Nacht und befeuchtete Straßen und Bürgersteige. Sie wanderten durch die Straßen, eine lärmende, bunt zusammengewürfelte Gruppe. Nach einer Weile packten sie Angus und seine Freundin in ein Taxi und trennten sich von Guy und Charis, die mit großem Eifer und viel roter Farbe die Mauern einer ehemaligen Fabrik mit revolutionären Sprüchen bekritzelten. Zurück in Francis' Souterrainwohnung, wo es dunkel und kalt und still war, schliefen sie miteinander und vergaßen alles andere.
Oft rührte sich nichts in Clodies Haus, während rundherum die Dunkelheit dichter wurde. An solchen Abenden haßte sich Joe, der das Haus von der anderen Straßenseite aus beobachtete, wegen seines Mangels an Vertrauen. Manchmal jedoch fuhr ein Automobil oder ein Taxi vor, und dann schlich er in der Dunkelheit leise näher, um vielleicht ein Gesicht zu erkennen oder ein paar geflüsterte Worte aufzufangen, ehe die grüne Tür geschlossen wurde. Manchmal öffnete sich die Tür schon nach zehn Minuten wieder; zu anderen Zeiten ging Clodies Besuch erst nach ein oder zwei Stunden wieder. Die Besucher waren immer Männer.
Joe wußte, daß er sich verrückt benahm; er wußte, daß er Clodie einfach fragen sollte, ob sie sich mit anderen Männern treffe. Aber er hatte Angst, sie vor den Kopf zu stoßen; Angst auch vor der Antwort, die sie ihm vielleicht geben würde. Hin- und hergerissen zwischen Hoffnung, Verzweiflung und Selbstekel, wurde er launisch. Er dachte sich alle möglichen Erklärungen für die häufigen Männerbesuche bei Clodie aus, die bei Tag auch alle absolut vernünftig erschienen. Clodie hatte für Lizzie einen Arzt gerufen, oder ihr Wirt hatte die monatliche Miete kassiert. Als Clodie ihm erzählte, daß sie angefangen habe, als Herrenschneiderin zu arbeiten, war Joe beim Anblick der halbfertigen Jacketts und Westen, die über den Rückenlehnen ihrer Eßzimmerstühle hingen, ein Riesenstein vom Herzen gefallen. Beinahe hätte er gelacht und ihr von seinem Verdacht erzählt, doch es gelang ihm, sich noch rechtzeitig zu bremsen, da er wußte, daß seine Eifersucht auf ihre Beziehung ebenso tödlich wirken konnte wie ihre Untreue.
Dennoch konnte er das heimliche Beobachten nicht lassen. Einmal folgte er einem ihrer Besucher bis nach Hause, erst mit der Untergrundbahn, dann zu Fuß. Der Mann wohnte in einer großen Villa in einem grünen Teil Hampsteads. Es gelang Joe nicht, sich davon zu überzeugen, daß ein Mann, der in einem solchen Haus wohnte, seine Anzüge bei einer kleinen Schneiderin in Hackney machen lassen würde.
Nach neun Monaten Abwesenheit verspürte Maia auf der Rückfahrt nach Cambridge wachsendes Unbehagen. Die Sonne leuchtete auf den Türmen und Dächern der Colleges, als sie über die Gog-Magog-Hügel fuhr, und in ihrem Magen zog sich die Furcht wie zu einem Geschwür zusammen. Ihre Hände klebten feucht am Lenkrad, als Hügel und Wälder den breiten Straßen der städtischen Vororte wichen. Die lange gewundene Auffahrt, das dichte Laub der Lorbeerbüsche und Vernons Haus, massig und düster – das alles wirkte so
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