Das Winterhaus
Windungen, bis das Winterhaus und Blackmere Farm außer Sicht waren. Im Boot zurückgelehnt, eine Hand durch das moorige Wasser ziehend, spürte Robin, wie etwas von ihrer Gereiztheit und Empfindlichkeit sich löste.
Maia sagte: »Hast du Helen auch eingeladen, Hugh?«
»Sie konnte nicht.«
»Warum nicht?«
»Nicht einmal Helen«, meinte Robin träge, »geht nachmittags zur Kirche, und sonntags arbeitet sie doch nicht.«
»Sie arbeitet überhaupt nicht mehr.« Maia zog die Krempe ihres Huts tiefer, so daß die Sonne ihr Gesicht nicht treffen konnte. »Hat sie dir nicht geschrieben, Robin?«
Sie erinnerte sich vage, einen von Helens reichlich wirren Briefen überflogen zu haben.
»Daddy ist gestürzt«, erklärte Maia. »Und hat sich dabei das Bein gebrochen. Nun hat er Helen wieder sicher und wohlbehalten zu Hause.«
Maias Augen leuchteten in dem gleichen reinen Blau wie der Himmel. Doch ihre Stimme war voll kalten Sarkasmus.
Hugh murmelte besänftigend: »Wenn es Pastor Ferguson wieder bessergeht …«
»Ach, das glaube ich nicht, Hugh. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es Helen noch einmal gelingt zu entkommen.«
Robin starrte Maia an. Maia fügte hinzu: »Wenn er es nicht geschafft hätte, über die Hacke oder was es sonst war zu stolpern, dann hätte er sich in die Kälte gehockt, bis er sich eine Lungenentzündung geholt hätte, oder Fliegenpilze gefressen, um sich den Magen zu verderben. Hauptsache, die arme Helen bleibt an der Kandare.«
»Sie sollte sich einfach mal gegen ihn wehren.«
»Mach dich nicht lächerlich, Robin. Wie kann sie das denn?«
Hugh lenkte das Boot zum Ufer. Robin sagte ungeduldig: »Helen ist zweiundzwanzig. Sie ist erwachsen. Sie sollte einfach gehen. Ich hab's doch auch getan.«
Sie merkte, daß das selbstgerecht klang, doch Helens Mangel an Rückgrat ärgerte sie. Vor Jahren einmal hatten sie über ihre Wünsche und Ziele gesprochen. Helen hatte reisen wollen, aber sie saß immer noch in diesem riesigen, düsteren Pfarrhaus fest.
Hugh half den beiden jungen Frauen aus dem Ruderboot und trug den Picknickkorb auf die Wiese. Während er ihn öffnete, sagte er: »Bei Helen liegen die Dinge doch ganz anders als damals bei dir, Robin. Als du von zu Hause weggegangen bist, hast du gewußt, daß Ma und Pa sich gegenseitig hatten. Helens Vater ist völlig auf sie angewiesen.«
»Aber sie vergeudet ihr Leben! Sie wirft es einfach weg!« rief Robin mit einer zornigen Handbewegung.
»Du verstehst gar nicht, worum es geht, nicht wahr, Robin?« Maia strich Butter auf die Brötchen. »Helens Vater will sie besitzen. Er ist überzeugt, daß er das Recht hat, sie mit Haut und Haaren zu besitzen.«
»Sie ist das einzige, was er hat, Maia.« Hugh machte die Bootsleine an einem alten Baumstumpf fest. »Das einzige Hühnchen im Nest, wie man so schön sagt.«
»Ich hab manchmal den Eindruck, daß er sich ihr gegenüber mehr wie ein Ehemann als wie ein Vater benimmt …«, murmelte Maia. »Ich wollte, ich könnte Helen öfter besuchen, aber ich habe so wahnsinnig viel zu tun … was meinst du, Hugh …?«
»Ich werde rüberfahren, sooft ich kann.«
»Du bist ein Schatz, Hugh. Wirklich ein Schatz.«
Hugh, der gerade dabei war, die Weinflasche zum Kühlen in den Fluß zu stellen, hatte Robin und Maia den Rücken zugewandt. Als er sich herumdrehte, war sein Gesicht rot. Er beugte sich über den Picknickkorb und holte einen Kuchen heraus. »Mein Gott – rosaroter Zuckerguß«, sagte er halb erheitert, halb verzweifelt. »Ma sieht mich immer noch in kurzen Hosen.«
Maia kramte in ihrer Tasche. »Ich hab die Kerzen mitgebracht.« Ihre hellen Augen blitzten boshaft. »Dreiunddreißig an der Zahl. Du mußt sie alle auf einmal ausblasen, dann darfst du dir was wünschen.«
Sie steckte die kleinen Kerzen ordentlich in den rosaroten Zuckerguß und zündete sie an. Hugh kniff die Augen zu und blies. Im gnadenlosen Licht der Sonne sah Robin erstes feines Grau in seinem blonden Haar und feine Fältchen an seinen Augenwinkeln. Die Kerzen flackerten und erloschen.
Im Kampf mit graphischen Darstellungen schleppte Robin ihre Bücher eines Morgens nach Hackney in die Souterrainwohnung, um sich bei Joe Hilfe zu holen. Der wanderte nach einer langen Nacht im Navigator rastlos in der Wohnung umher, unrasiert, nur mit einer Hose und einem lose hängenden Hemd bekleidet.
»Ich lade dich zum Frühstück ein, wenn du mir bei diesen elenden Dingern hilfst«, sagte sie mit einem kritischen Blick auf
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