Das Wispern der Schatten - Roman
Wunschvorstellungen, nicht zuletzt die des Heiligen selbst, und verwandelte sich in sie. Er wurde zu einem Musterbild der weiblichen Schönheit und Fleischeslust, mit verletzlicher, verheißungsvoller Scham, üppigen, nachgiebigen, hungrigen Lippen, Augen, die zugleich neckten, entkleideten und flehten, Brüsten, die sich mit sehnsüchtig aufgerichteten Brustwarzen vor Leidenschaft hoben und senkten, einer schlanken Taille, die in hervortretende Hüften überging, und einem wie gemeißelten Hinterteil, das aufreizend herausgestreckt war. Ein berauschender Moschusduft erfüllte die Luft, blähte Nasenlöcher, weitete Pupillen, entblößte Eckzähne und ließ Zungen hängen. Dann übermannte der Sonderbare die verbliebenen Sinne derjenigen, die ihn wie gebannt anstarrten, und sprach in einem sich ständig wandelnden Ton, der berührte, verführte, befahl und zwang: » Nehmt eure Schwerter und setzt sie euch an die Kehle. Seht, wie auch euer Heiliger eine Klinge findet. Folgt seinem Vorbild, und wir werden zusammenkommen! Gut so…«
» Erinnerst du dich nicht an dein Versprechen, Freund Anupal?«, fragte Freda verzweifelt und brach so den Bann beinahe.
Der Sonderbare blinzelte. » Und du hast versprochen, meiner Urteilskraft zu vertrauen, wann immer ich beschließe, dass manche Leute sterben müssen. Jetzt unterbrich mich nicht noch einmal, meine Liebe.«
» Nein!«, rief Jillan. » Du kannst sie nicht alle töten!«
Der Sonderbare lächelte kokett. » O doch, das kann ich. Und nun, tapfere Helden und Heiliger, rammt eure Schwerter…«
» Verfluchter Gott!«, stieß Torpeth hervor, sprang unmöglich hoch in die Luft und landete direkt hinter dem Sonderbaren auf der Mauer. » Du hast mein eigenes Reich mit deinen Schlichen und Worten zerstört. Du hast meine Armee und mein Volk vernichtet. Du hast die Götter gebrochen und diese Welt den Anderen überlassen.« Er riss der Vision den Sonnenmetallhelm von der Stirn und beförderte sie mit einem Tritt von der Mauer. » Ich kann nicht zulassen, dass du das noch einmal tust! Das Geas wird durch deine Taten niemals wiederhergestellt werden– es wird nur noch weiter herabgemindert. Hinfort, Teufel! Hinfort von allen Lebewesen und aus dieser Welt!«
Der Sonderbare landete unten und schaute fassungslos hoch, während sein Körper und seine Gestalt sich schlagartig aufzulösen begannen. » Du! Torpeth, der Tyrann! Immer noch am Leben. Kleinliches Geas, was hast du nur getan!« Die Maske der Schönheit fiel vom Sonderbaren ab, und einen Moment lang war der Wahnsinn körperlich wahrnehmbar, als kratzendes Jucken im Schädel und Bohren im Fleisch, das sich anfühlte wie die Schnitzarbeit, die Ash in Jillans Anwesenheit in Erlöserparadies zu verkaufen versucht hatte.
Der Heilige sprang vorwärts. Ohne auch nur einen Augenblick lang zu zögern, zerschmetterte er eine Glasphiole voll Blut an den in Auflösung begriffenen Zähnen des Sonderbaren und rammte dem Gott ein Zapfröhrchen ins sich verflüssigende Fleisch. Ein einzelner, sonnenheller Diamant aus Blut bildete sich am Ende des Röhrchens, und Azual leckte ihn gierig mit der langen Zunge auf, während der Rest des Sonderbaren in der Erde versickerte.
Der Heilige warf den Kopf zurück und schrie zum Himmel, als die Hand, die er in Hyvans Kreuz verloren hatte, sich neu bildete, die Augen ihm zurückgegeben wurden und seine Körpergröße sprunghaft zunahm. » Ich bin neu geschaffen! Die Macht der Schöpfung gehört mir!« Er hob den gleißenden Helm aus Sonnenmetall, weitete ihn und senkte ihn auf seine Stirn herab. » Werdet Zeugen, wie ich zum Gott gekrönt werde!« Seine Stimme erschütterte Gebäude bis in die Grundmauern, sodass viele zusammenbrachen, ließ Trommelfelle platzen, rüttelte Gehirne durch und war geistig im ganzen Reich zu hören. Mehrere Erlöser wurden aus dem Wachtraum gerissen und erlebten zum ersten Mal in ihrem fast unsterblichen Dasein einen Verlust von Selbstbeherrschung.
» Das hätte besser laufen können«, stöhnte Samnir von dort, wo er hingefallen war. Er hustete Blut.
» Tötet sie alle!«, forderte der Heilige und zwang die Helden durch reine Willenskraft, wieder aufzustehen.
» Du hast gesagt, du würdest sie verschonen!«, schrie Jillan, dem es so heftig in den Ohren dröhnte, dass er befürchtete, ohnmächtig zu werden.
» Das war, bevor ich vergöttlicht wurde, du bettelndes Kind! Das Mädchen wird als Erstes sterben.«
Der Makel heulte und heulte und machte es Jillan
Weitere Kostenlose Bücher