Das Wispern der Schatten - Roman
Jillan zu, nur dass er jetzt schon viel näher war. Im Laufen über die Lichtung bückte sich der Waldläufer, riss mit einer kraftvollen Drehung seines Handgelenks eine lange Axt aus einem Holzklotz und setzte schreiend dazu an, den Eindringling in Stücke zu hauen.
Schon als Jillan den ersten Pfeil abgeschossen hatte, hatte er nach einem zweiten gegriffen. Er sah seinen ersten Pfeil fehlgehen und fragte sich, wie das möglich war, ließ sich davon aber nicht ablenken. Während der Mann auf ihn zustürmte, legte Jillan ruhig den zweiten Pfeil an die Bogensehne und griff in sich hinein, um die Flugbahn mit Magie nachzuzeichnen. Dieser Pfeil würde nicht fehlgehen, sondern unbeirrbar treffen, ganz gleich, was für Kniffe der Mann anzuwenden versuchte.
Der Waldläufer hatte die Axt über den Kopf erhoben und war nur noch Augenblicke davon entfernt, sie auf seinen Gegner niederfahren zu lassen. Er sah, wie der Junge einen zweiten Pfeil bereitmachte, der in warnendem Rot aufleuchtete, als er das Licht des Kohlenbeckens widerspiegelte. Wie der Pfeil waren auch die Augen des Jungen rot und unnachgiebig. Verdammt! Ich bin zu langsam. Wie kann das sein? Da all seine Sinne auf ihn einschrien, blieb der Waldläufer schlagartig stehen und rang nach Luft.
Genau in dem Moment, als Jillan den Pfeil abschießen wollte, blieb der Mann stehen. Wieder gerade zur rechten Zeit. Sie musterten einander in reglosem Schweigen. Der Bann wurde schließlich gebrochen, als Jillan aus dem Augenwinkel sah, wie sich die goldenen Muster seiner Rüstung wanden. Er blinzelte.
» Jetzt erwartest du wohl von mir, dass ich dir Tee oder so etwas vorsetze«, knurrte der Waldläufer bärbeißig.
Von seinem Sitzplatz auf einem niedrigen Hocker beobachtete Jillan den langgliedrigen Waldläufer dabei, wie er über dem Feuer seiner Hütte, die nur aus einem Raum bestand, Wasser zum Kochen brachte. Der Mann hatte dunkle Bartstoppeln am Kinn und eine hässliche Narbe auf einer Wange. Sein Alter war nicht genau zu bestimmen und lag wohl irgendwo zwischen dreißig und fünfzig, aber er bewegte sich leichtfüßig und kraftvoll. Er hatte eine niedrige Stirn, die oft Schatten auf sein Gesicht warf, aber seine Augen glitzerten immer wild, ganz gleich, wie hell es war.
Er ertappte Jillan dabei, ihn zu beobachten, und lächelte ihn schief an. » Es ist noch niemandem gelungen, sich an mich anzuschleichen, vor allem keinem, der so jung war.«
» Mein Vater ist Jäger«, sagte Jillan stolz und besann sich erst dann darauf, dass er solche Einzelheiten über sich selbst nicht einfach ausplaudern durfte.
» Tatsächlich?«, erwiderte der Waldläufer mit hochgezogenen Augenbrauen und ermunterte Jillan damit, mehr zu erzählen.
Jillan wurde vorsichtiger. » Ich bin Irkarl aus Heldenbach und unterwegs nach Erlöserparadies. Danke, dass du mich eingeladen hast, an deinem Feuer zu sitzen. Es tut mir leid, wie ich hier angekommen bin, aber ich bin auf der Hut vor Heiden und so weiter.«
Der Waldläufer runzelte die Stirn, während er getrocknete Blätter von einem Regal nahm und ins Wasser gab. » Du kannst mich Ash nennen. Was gibt es Neues in Heldenbach, Irkarl?«
Jillan zögerte. » Äh… also… die Straße, die aus der Stadt wegführt, ist immer noch überflutet, deshalb kommen im Moment keine Wagen nach Erlöserparadies durch.«
» Ich verstehe. Allein zu reisen ist aber ein bisschen gefährlich, nicht wahr, auch wenn du geschickt mit dem Bogen umzugehen verstehst.«
Jillan nickte. » Ich bin auf Pilgerfahrt. Wir müssen bereit sein, um unseres Glaubens willen Gefahren in Kauf zu nehmen. Aus dem Grund habe ich mich auch dazu entschlossen, auf dem längeren Weg zu reisen. Ash, ist es nicht gefährlich, hier draußen ganz allein zu leben?«
Ash starrte Jillan einen Moment an und rang offensichtlich mit sich, wie er darauf antworten sollte. Mit einem Seufzen sagte er am Ende: » Hier in der Gegend gibt es keine Heiden, vor denen man sich fürchten muss, Irkarl, zumindest bin ich nie welchen begegnet. Wie ich schon sagte, gibt es nur wenige Leute, die sich unbemerkt an mich anschleichen können. Und außerdem… Komm, nimm deinen Teebecher mit, dann setzen wir uns für eine Weile nach draußen.«
Neugierig tat Jillan, was der Mann verlangte, und sie gingen zum Kohlenbecken hinüber. Ash setzte sich auf den Boden und lehnte sich mit dem Rücken an einen bequem aussehenden Felsen, während Jillan sich auf einen aufrecht stehenden Holzklotz hockte.
» Wir müssen
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