Das Wispern der Schatten - Roman
waren gefährliche, aufregende Orte.
» Da sind wir«, verkündete Ash vor einer Tür am Ende einer Häuserzeile.
» Woher weißt du, dass es ein Wirtshaus ist?«, fragte Jillan.
» Alles, was man braucht, um das festzustellen, ist doch der Zustand der Straße an dieser Stelle, nicht wahr?«
» Vermutlich.« Jillan nickte und stellte fest, dass der Gestank nach Urin und Erbrochenem hier stärker war als anderswo in der Straße.
» Mach dir keine Sorgen, drinnen ist es besser. Aber überlass das Reden mir, abgemacht?«
Das Wirtshaus bestand aus einem einzigen großen Raum voller Tische und Bänke mit einer Theke in einer Ecke und einer engen Treppe, die ins Obergeschoss führte. Die Fenster waren klein und ließen den Schankraum düster wirken, obwohl es früher Nachmittag war und auf mehreren Tischen schwach leuchtende Kerzen brannten. Im Gegensatz zur Straße draußen war es hier jedoch vergleichsweise voll. Ein Grüppchen aus vier Händlern unterhielt sich laut und trank sich begeistert zu, als ob die Männer alte Freunde wären, die sich schon lange nicht mehr getroffen hatten. Ein hoffnungsvoll dreinblickender Jüngling, dem aber niemand viel Aufmerksamkeit schenkte, hockte in einer Ecke und zupfte unmelodisch an einer Laute herum. Mehrere alte Männer saßen allein da, nippten an ihren Getränken und beäugten verstohlen eine gelangweilte Hure. Zwei Männer stritten sich über den Preis irgendwelcher Waren, und ein magerer, sauertöpfischer Geselle saß da, säuberte sich die Fingernägel mit der Messerspitze und beobachtete nebenbei alle anderen.
Eine Schankmagd bewegte sich so träge durch den Raum wie die Fliegen, aber es war der Wirt selbst, der herübergeeilt kam, als Ash und Jillan einen kleinen Tisch für sich allein an der Wand neben der Treppe fanden. Der Wirt war ein recht kleiner Mann– einen guten Kopf kleiner als Ash–, hatte aber kräftige Arme und einen ausladenden Brustkorb. Er erwiderte Ashs unentwegtes Lächeln nicht, aber es lag auch keine Feindseligkeit in seinem Tonfall, als er das Wort ergriff.
» Die letzten beiden Schnitzereien haben sich mühelos verkauft. Ich kann dir sogar etwas zu trinken ausgeben, Waldläufer.«
» Ich freue mich auch, dich zu sehen, Schankwirt Randvoll. Wie ist es dir so ergangen?«
» Hör auf mit dem Unsinn, sonst lasse ich dich von meiner Klinge an die frische Luft setzen«, sagte der Wirt und wies mit knapper Geste auf den mürrischen Mann, der sich die Nägel reinigte. » Ich nehme an, du hast kein Geld.«
» Noch nicht, aber…«
» Dann zeigst du mir, was du hast; wir einigen uns auf einen Preis, dein Getränk geht aufs Haus, und dann verschwindest du wieder, bevor du meine Gäste störst wie beim letzten Mal.«
» Nein, warte, das war doch nicht meine Schuld! Dieser Schafskopf…«
» Ich will es gar nicht hören«, fiel ihm der Wirt grob ins Wort. » Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich überhaupt einen Unreinen unter meinem Dach dulde, besonders, da der geweihte Heilige in der Stadt ist. Missbrauche meine Großzügigkeit nicht dadurch, dass du mir Ärger machst, verstanden?«
Ashs Lächeln verschwand, aber er brachte ein steifes, zustimmendes Nicken zustande.
» Der Heilige ist hier?«, fragte Jillan schwach, aber die beiden Männer beachteten ihn gar nicht.
» Was hast du mir also gebracht?«, drängte der Wirt. » Hast du daran gedacht, gütige Baum- und Naturgeister zu schnitzen, wie ich es dir gesagt habe? Die Erlöser mögen es dem Volk dieser Stadt vergeben, aber solche Trugbilder sind immer beliebt. Oder Totemtiere? Oder einen hölzernen Phallus, vielleicht auch zwei, für die Fruchtbarkeit?«
Ash suchte in seinem Lederbeutel und zog einige in Stoff gehüllte Gegenstände daraus hervor. Der erste war eine Schnitzerei, die den schwarzen Wolf zeigte und mit Holzkohle gefärbt war.
» Schön. Gut beobachtet. Das wird sich verkaufen. Aber lass ihn nächstes Mal wilder aussehen, sodass er mehr Zähne zeigt.«
Als Nächstes kam eine hübsche junge Frau mit Haaren, die wie ein Wasserfall an ihr hinabglitten.
» Ich glaube, ich bin verliebt. Siehst du solche Frauen vor deinem inneren Auge, Waldläufer? Du bist da draußen doch ziemlich einsam, was?«
Die dritte Schnitzerei war ein ziemlich gewöhnlicher Fliegenpilz.
» Was um alles in der Welt soll das? Die Leute können doch einen echten bekommen, wann immer sie wollen. Lächerlich. Lass ihn als Kerzenhalter hier, dann gebe ich dir noch etwas zu trinken aus.«
Der letzte
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