Das Wörterbuch des Viktor Vau
hineingehört.«
»So wie wir«, flüsterte Enrique.
»Bei uns ist das etwas anderes. Wir hatten eine Wahl. Er nicht. Und jetzt ist er tot, weil wir uns aus der Zukunft in sein Leben eingemischt haben.«
Enrique legte den Arm um sie, und sie drückte ihren Kopf gegen seine Brust und lieà ihren Tränen freien Lauf.
SchlieÃlich löste er sich von ihr. »Wir müssen von der StraÃe verschwinden.«
Astarte nickte und wischte sich mit dem Ãrmel die Tränen aus dem Gesicht. Schweigend gingen sie bis zu Thuras Geschäft, das noch geschlossen war. Sie klingelten. Zunächst passierte nichts. Erst als Enrique den Finger auf der Klingel liegen lieÃ, regte sich im Laden etwas. Wenig später öffnete Thura ihnen die Tür.
»Wie seht ihr denn aus?«, rief sie.
Astarte fiel in Thuras Arme. »Viktor ist tot.«
Enrique wartete geduldig, bis sich Astarte wieder einigermaÃen beruhigt hatte. Dann folgten sie Thura durch das leere Gebäude in die kleine Cafeteria. Auf einem der Tische stand ein elektrischer ReiÃwolf neben Stapeln von Papieren.
Sie berichteten von den Geschehnissen der letzten Nacht, und Enrique legte die Zeitung mit seinem Fahndungsfoto auf den Tisch.
»Sieh an«, kommentierte Thura ironisch. »Ich wusste doch gleich, dass unter all der Rechtschaffenheit eine dunkle Seite steckt.«
Sie steckte die Zeitung in den ReiÃwolf. »Ihr solltet so schnell wie möglich aus der Stadt verschwinden. Das habe ich auch gerade vor. Man hat mir einen Tipp zugespielt, dass die Polizei uns in einigen Stunden hochnehmen will. Ich bin gerade dabei, alle Unterlagen zu vernichten.«
»Auch das Notizbuch, das ich dir gegeben habe?«, fragte Astarte.
»Aber natürlich nicht, Liebes. Das hätte ich mitgenommen, wenn du nicht aufgetaucht wärst.«
»Gib es mir«, drängte Astarte sie. »Ich will die Sache sofort zu Ende bringen.«
»Wie du willst.« Thura verlieà den Raum.
Enrique hielt Astarte am Arm. »Darüber sollten wir noch mal reden.«
»Es gibt nichts zu reden. Viktor wollte, dass seine Aufzeichnungen vernichtet werden. Und ich werde ihm seinen letzten Wunsch erfüllen.«
»Und ich muss meinen Auftrag erfüllen. Und der lautet, das Notizbuch auf jeden Fall zu schützen.«
»So wie du Viktor beschützt hast?« Ihre Stimme klang bitter.
»Das sagst gerade du?«, staunte Enrique. »Dein Auftrag war es doch, ihn zu töten.«
»Ich bin eben keine Maschine, die jeden Befehl widerspruchslos ausführt. Ich bin ein Mensch mit Gefühlen. Und mit der Fähigkeit zum eigenständigen Denken.«
Enrique schüttelte den Kopf. »Das bin ich auch. Und gerade deshalb darf das Wörterbuch nicht vernichtet werden. Denn dann wird es unsere Welt nicht mehr geben.«
» Unsere Welt?« Astarte lachte freudlos. »Das war nie unsere Welt. Es war die Welt einer herrschenden Clique, die ihre Untertanen mit der Sprache der rechten Hemisphäre gnadenlos manipulierte. Ich hatte Glück, dass es bei mir nicht funktioniert hat. Das hier, das ist meine Welt geworden. Hier gibt es kreative und irrationale Menschen, Verwirrung und Unklarheit, Witz und Gefühle. Und ich werde dafür sorgen, dass das so bleibt.«
»Auch dann, wenn du damit die Zukunft, wie wir sie kennen, zerstörst? Deine Eltern, deine Freundinnen und Freunde, sie alle würden von einer Sekunde auf die nächste verschwinden. Und wir auch.«
»Das Risiko ist mir immer noch lieber als die Welt, in deren Dienst du stehst.«
Enrique wusste, dass er sich entscheiden musste. Stellte er sich auf Astartes Seite, würde er nicht nur seinen Auftrag verraten, sondern zudem die Möglichkeit der Zerstörung dieser und seiner Welt zulassen. Gleichzeitig war ihm klar, dass er seine Entscheidung schon längst getroffen hatte. Sein Widerstand gegen Astarte war nur noch eine reine Formalität gewesen, eine letzte Geste vor sich selbst.
Als Thura mit dem Notizbuch zurückkehrte, war Astarte sofort bei ihr und nahm mit einer schnellen Bewegung das Buch an sich.
»Halt!«, rief Enrique und verstellte ihr den Weg.
»Was willst du tun?«, zischte Astarte. »Es mir mit Gewalt wegnehmen?«
Sie versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen. Enrique legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich hin. Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, aber er hielt sie
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