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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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also ist ihr Name. Wie schön.
    » Ich habe dein Leben gerettet. «
    Kommt mir nicht vor, als lebte ich noch.
    » Du hast Glück gehabt. «
    Nennt man das so, wenn man tausend Meter tief gefallen ist? Wenn man jeden einzelnen Knochen spürt?
    » Mach deine Augen auf. «
    Er öffnete die Lider. Sie hoben sich zitternd wie die eines Neugeborenen, das erstmals in die Welt schaut. Das hereinfl u tende Licht war nur auf den ersten Blick gleißend. Rasch gewöhnten sich Niccolos Augen an die Helligkeit und erkan n ten, dass es vielmehr dämmerig war, ein fahles Grüngrau, durchfurcht von weißgelben Lichtbahnen, die schräg durchs Blätterdach zum Boden fielen.
    Er lag auf dem Rücken am Fuß eines Stammes. Er hatte nie zuvor einen Baum aus der Nähe gesehen, nur aus großer Höhe oder als Zeichnung in einem der Bücher seines Vaters. Aber das hier musste ein Baumstamm sein, un glaublich hoch, mit bemooster Rinde, soweit er daran hinaufsehen konnte. Weiter oben wurde er eins mit dem Dach des Waldes, verborgen hinter Dunstschwaden. Aus der Luft hatte der Nebel noch dichter gewirkt.
    » Ich habe deine Wunden gewaschen und die schlimmsten verbunden. Aber keine davon wird dich umbringen. «
    Er wandte den Kopf zur Seite und sah in das Gesicht einer Frau. Er erschrak unmerklich – sie war die erste leibhaftige Chinesin, der er begegnete. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie in ihrer eigenen Sprache mit ihm redete. Die Betonung klang anders als bei seinem Vater und ihm selbst, aber er verstand sie besser, als er erwartet hatte.
    Ihr Gesicht war schmal, ihre Mandelaugen dunkel. Im Hal b schatten eines breiten, pilzförmigen Strohhuts sah sie geheimnisvoll und düster aus; sie war schön, auf herbe und ein wenig abschreckende Weise. Je länger Niccolo hinsah, desto mehr Einzelheiten erkannte er – auch die Unzahl kleiner Narben, die ihre Züge bedeckte. Sie sahen aus, als stammten sie von Schnitten, unterschiedlich lang und breit. Seltsamerweise machten sie ihr Gesicht nicht hässlich, höchstens ein wenig Furcht einflößend.
    Als er noch immer nichts sagte, runzelte sie die Stirn im Schatten ihres Hutes. » Kannst du mich verstehen? «
    » Ja «, krächzte er benommen. » Ich … verstehe dich. «
    » Du bist vom Himmel gefallen. «
    Er versuchte zu nicken. Sein Nacken tat weh, seine Schultern waren eine einzige Verspannung.
    » Warum? «, fragte sie.
    Alles drehte sich um ihn, erst recht, wenn er die Augen wieder zumachte. Also hielt er sie krampfhaft offen, auc h w enn ihm nicht gefiel, dass ihr Gesichtsausdruck weniger freundlich wirkte als ihre Stimme.
    » Warum? «, wiederholte sie mit Nachdruck.
    Ihm fiel keine Antwort ein, die irgendeinen Sinn ergab. Außer die Wahrheit. Aber die würde er ihr gewiss nicht auf die Nase binden.
    » Ich … weiß nicht «, log er.
    Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich. Abrupt schaute sie über ihre Schulter nach hinten, schien auf etwas zu horchen und schüttelte schließlich den Kopf. » Wir müssen weg von hier. Die Raunen müssen den Lärm gehört haben. «
    » Raunen? «
    Sie nickte und stand auf. Er war nicht sicher, ob ihm gefiel, was er sah. Sie trug einen langen Mantel aus grünem und braunem Stoff, der sie bei den schwachen Lichtverhältnissen fast vollständig mit dem Wald verschmelzen ließ. Um ihre Taille war ein enger Gürtel geschlungen, an dem fingerlange silberne Stahlnadeln befestigt waren – Wurfpfeile, vermutete er. Einzelne schwarze Strähnen hatten sich unter ihrem Hut gelöst und fielen glatt über ihren Oberkörper. Auf dem Rücken trug sie gekreuzt zwei Schwerter, deren Griffe weit über ihre Schulter emporragten. Und nun packte sie auch noch eine Lanze, die neben ihm am Baum lehnte, länger als sie selbst, mit einer gewaltigen Breitschwertklinge als Spitze, grässlich gezahnt auf der einen Seite, gewellt auf der anderen. Darunter war eine Art Büschel aus Fell oder Haar befestigt, der bis auf ihre Hand herabreichte.
    » Du heißt … Wisperwind? «, erkundigte er sich mit dünner Stimme.
    Sie nickte und wechselte die Lanze in ihre linke Hand.
    Die Rechte streckte sie ihm entgegen, um ihm aufzuhelfen. » Wir müssen weg von hier. Die Raunen können jeden Moment hier sein. «
    » Was sind das – Raunen? «
    » Dämonen. Dieses Tal ist voll davon. Von Raunen und vie l leicht Schlimmerem. Es ist schwer, ihre Schreie voneinander zu unterscheiden. « Sie machte eine Kopfbewegung nach oben. » Sie leben in den Baumkronen. «
    Er hob den Oberkörper, überrascht, dass es

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