Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
Fotomaterial zu sichten. Auf dem Weg dorthin schaute er zwar kurz in Grauenfels vorbei, traf Berit jedoch nicht an. Sie sei ein paar Tage in Paris, erklärte ihm Gina. Weitere Auskünfte gab sie nicht, was Ruben ein wenig beunruhigte. Warum hatte Berit ihm das nicht gemailt oder erzählt? Schließlich telefonierten die beiden inzwischen ständig oder tauschten wenigstens elektronische Post. Gab es womöglich einen anderen, der sie kurzfristig in die Stadt der Liebe entführt hatte?
Schon um einen Grund zu haben, schnell wiederzukommen, vereinbarte Ruben einen Gesprächstermin mit Igor Barhaupt in der nächsten Woche, musste ihn dann aber absagen. In Borunji war es zum nächsten Putsch gekommen, und der Präsident hatte sich nur knapp außer Landes retten können. Nun etablierte er in London eine Exil-Regierung, und Klein schickte Ruben hin, um ein weiteres Interview mit ihm zu führen. Erst Ende August war Ruben dann frei für denShowdown in Grauenfels. Er hatte ein ziemlich schlechtes Gewissen, als Berit ihn bei seiner Ankunft strahlend begrüßte. Sie managte den Pilgerbetrieb zurzeit allein. Gina war in New York.
»Urlaubsreise?«, fragte Ruben.
Berit schüttelte den Kopf und spielte nervös mit ihrem Pony. »Mehr geschäftlich …« Sie druckste herum.
Ruben beschloss, der Sache später auf den Grund zu gehen. »Ist der Bürgermeister denn jetzt da?«, erkundigte er sich.
Berit führte ihn arglos zu den Amtsräumen von Igor Barhaupt.
»Was hätte ich denn sonst machen sollen?«
Eine Viertelstunde später saß der Bürgermeister am Boden zerstört an seinem Schreibtisch und raufte sich die fülligen Haare. Rex sabberte tröstlich auf seinen Schoß und schien Ruben vorwurfsvoll anzusehen. Marco hatte Recht. Der struppige Köter hatte tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Höllenhund auf den Fotos des Hagener Rentners. Zumindest Größe und Fellstruktur stimmten. Und was den Geifer anging – an sich brauchte man die Ergüsse aus Rex’ Maulhöhle dazu nur schaumig zu schlagen.
»Der Ort hier hatte keine Zukunft«, fuhr Barhaupt fort, »ich musste was tun. Rumsitzen und auf Aufbauhilfe Ost warten oder so was, das liegt mir nicht. Also habe ich BeGin angerufen. Und dann kamen Frau Mohn und Frau Landruh eben mit dieser Idee. Ich weiß ja, dass es nicht richtig war …«
Der Grauenfelser Ortsvorsteher war praktisch sofort umgefallen, als Ruben ihn mit den ersten Fakten konfrontiert hatte. Der Bürgermeister war immer die Schwachstelle der Verschwörung gewesen, wahrscheinlich hätte Ruben viel eher Ergebnisse erzielt, wenn er sich gleich auf ihn konzentriert hätte.
»Was kommt denn da jetzt auf uns zu, wenn Sie das schreiben?«,fragte Barhaupt und rieb sich nervös ein Ohrläppchen. »Ein Betrugsverfahren?«
Ruben zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Da müssen Sie mit einem Anwalt reden. Aber auf Anhieb fällt mir eigentlich nichts ein, weswegen man Sie verklagen kann. Sie haben ein paar Kinder zum Lügen angestiftet. Aber ob das nun verboten ist? Moralisch natürlich untragbar. Man wird Sie kaum wieder wählen. Aber sonst …«
»Es wird alles zusammenbrechen«, sagte Igor verzweifelt. »Alles, wofür wir gearbeitet haben. Wissen Sie, es ist mir eigentlich egal, ob man mich wieder wählt oder nicht. Aber wenn Grauenfels in diese Hoffnungslosigkeit zurückfällt. Das kann ich nicht ertragen.«
Als Ruben Tränen in Igor Barhaupts Augen bemerkte, verabschiedete er sich beschämt. Der Bürgermeister sank, die Arme auf dem Tisch verschränkend, nieder, und es sah aus, als heulte er wie ein Kind.
Berit, die im Vorzimmer des Bürgermeisters gewartet hatte, sah an Rubens Gesichtsausdruck, dass etwas nicht stimmte. Alarmiert stand sie auf und brachte mit einer schnellen Handbewegung ihren Pony in Unordnung. Dabei hatte sie eben noch so hübsch und strahlend ausgesehen. Anscheinend hatte sie die Zeit seines Interviews genutzt, um ihr Make-up aufzufrischen und ihr Haar in Form zu zupfen.
»Was hast du gemacht?«, fragte sie besorgt. »Was um Himmels willen hast du gemacht?« Berit riss die Tür auf und warf einen Blick auf den völlig gebrochenen Barhaupt.
Der hob den Kopf, als er sie hörte. »Er hat es herausgefunden«, sagte er tonlos. »Es ist alles aus, Frau Mohn.«
Ruben wusste eigentlich nicht, warum er sich derart schuldig fühlte, als er das Bürgermeisteramt gleich danach verließ. Schließlich hatte er nur aufgedeckt, was die anderen verbockt hatten, und insgeheim hatte er angenommen, dass
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