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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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ihn zurück, gerade hat er geschworen, hier an Ort und Stelle Harakiri zu begehen, wenn der Mann stirbt. Lassen Sie auf keinen Fall zu, dass er sich in der Toilette einschließt! Nehmen Sie ihm das Messer weg! Mein Gott, was stehen Sie hier herum, retten Sie ihn, wir zahlen ihm zwölftausend Euro im Monat. Wir dürfen ihn nicht verlieren!«
    In der Halle brach völliges Chaos aus. Takeshi hatte sich tatsächlich in der Toilette eingeschlossen, man versuchte, die Tür aufzubrechen, und schließlich gelang es auch. Der kostbare Koch, der seinem Leben ein Ende hatte setzen wollen, um seine Samurai-Ehre zu retten, wurde herausgezerrt. Man nahm ihm das Küchenmesser weg und verband ihm die zerschnittenen Finger. Eine Krankenschwester gab ihm zwei Beruhigungsspritzen.
    »Ich habe mit den Ärzten gesprochen«, flüsterte Kolossow, der an der Jagd auf den Japaner nicht teilgenommen hatte, Katja zu, »und ihnen unsere beiden Vergiftungsfälle beschrieben. Die Symptome, meine ich. Bei Mochow ist das klinische Bild das gleiche wie bei Studnjow und der Worobjowa. Auf der Intensivstation hat man ihm Blut abgenommen. Es wurden keinerlei Biotoxine in seinem Blut gefunden, Stattdessen sieht es wieder ganz nach Thallium aus.«
    »Saiko ist hier«, teilte Katja ihm mit. »Was sollen wir mit ihm machen? Festnehmen?«
    »Nein. Ohne konkrete Beweise können wir niemanden festnehmen.« Kolossows Miene war düster. »Wir müssen die genauen Ergebnisse der Untersuchungen abwarten. Deine Freundin sollten wir auch noch mal vernehmen, durch ein seltsames Zusammentreffen von Umständen ist sie ja nun schon zum dritten Mal ins Epizentrum eines Verbrechens geraten. Und wir werden eine Hausdurchsuchung bei Mochow und in der Redaktion seiner Zeitschrift durchführen.«
    »Was willst du denn dort finden?«, fragte Katja. Insgeheim nahm sie sich sofort vor, bei Anfissas Vernehmung dabei zu sein – sie wollte ihre Freundin nicht schutzlos dem durch seine Misserfolge erzürnten Nikita und dem Grobian Lessopowalow zum Fraß vorwerfen.
    »Weiß ich noch nicht. Vielleicht den Grund, warum man ihn ermordet hat«, sagte Kolossow schroff. Katja begriff -wer immer dieser unheimliche, nicht zu packende Giftmörder auch war, eine solche Frechheit wie diesen dritten Mord würde Nikita ihm niemals verzeihen. Sie seufzte und stellte keine weiteren Fragen mehr.
    Auf der Nachbarbank saßen der Geschäftsführer des »Rashomon« und zwei mitfühlende Journalisten und trösteten, so gut sie es vermochten, den von der doppelten Dosis des Beruhigungsmittels völlig entkräfteten Koch. Takeshi Sagamori schluchzte wie ein Kind und stammelte unverständliche Worte auf Japanisch. Vor ihnen stand mit trübsinniger, verstörter Miene der Restaurantbesitzer Muchin und gleich daneben Lew Saiko, der die Szene schweigend beobachtete und den die Leiden des fremdländischen Kochs, so schien es jedenfalls der misstrauischen Katja, überhaupt nicht rührten, sondern im Gegenteil eher amüsierten.

29
    Lessopowalow erbot sich, persönlich Anfissa Berg zu verhören. Katja war bei dem Verhör anwesend, bereit, im Notfall ihre Freundin mit Klauen und Zähnen zu verteidigen. Vom professionellen Standpunkt war das vielleicht nicht ganz in Ordnung, aber Katja war überzeugt, dass es Momente gab, in denen Frauen solidarisch zusammenstehen sollten – selbst wenn sie nicht restlos von der eigenen Unschuld überzeugt sind.
    Doch seltsamerweise benahm sich Lessopowalow Anfissa gegenüber sehr zurückhaltend und bedauerte sie sogar aufrichtig: Was für ein Pech, drei Morde, begangen direkt vor Ihren Augen, und noch dazu solche, bei denen einem nicht nur der Appetit, sondern vor Schreck gleich der ganze Verstand abhanden kommen kann. Anfangs wunderte sich Katja darüber und vermutete irgendeine Falle, aber Lessopowalow betrug sich untadelig. Er kochte mit Kolossows Kaffeemaschine sogar einen starken Kaffee und bewirtete Anfissa freigebig mit Kognak – ebenfalls aus Kolossows Beständen –, um sie aufzumuntern und ihre angegriffenen Nerven zu beruhigen. Zwischen den rein sachbezogenen Fragen wie »Hat Mochow schon vor dem Besuch des japanischen Restaurants über Übelkeit geklagt?« und »Hat er erwähnt, ob er sich vormittags mit jemandem getroffen hat?« erkundigte er sich bei Anfissa auch ganz beiläufig: »Sie sind nicht verheiratet, oder?«
    Anfissa beruhigte sich allmählich und taute auf. Auf Lessopowalows Fragen antwortete sie konzentriert, sichtlich bemüht, behilflich zu sein. Leider

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