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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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überhaupt so was ausdenken, warum sollte er behaupten, dass das Tajin nicht für Studnjow, sondern für Aurora bestimmt war?«
    »Simonow hat versucht, Jelena Worobjowa zu beschützen, indem er unsere Aufmerksamkeit auf Aurora und Saiko gelenkt hat. Offenbar ist ihm nicht bekannt, dass wir wissen, dass es Jelena war, die mithilfe ihres Bruders das Gift beschafft hat. Aber vielleicht ist es ihm auch bekannt, und es ist nur ein schlauer Schachzug von seiner Seite. Die ganze Zeit hat er versucht, unseren Verdacht auf Saiko zu lenken«, sagte Katja. »Und als ich Saiko im Krankenhaus gesehen habe, fielen mir auch prompt Simonows Aussagen wieder ein.«
    »Dieser Saiko hat es faustdick hinter den Ohren. Ein Koch, aber was für einer . . . Wenn ich den in die Finger kriege, dann werden die Federn fliegen«, versprach Lessopowalow. »Nikita ist viel zu nachsichtig mit dieser ganzen Kochlöffel-Mafia. Er tüftelt nur immer neue Strategien aus. Wissen Sie, was man meiner Meinung nach tun sollte, Katja?«
    »Was?«
    »Alle erst mal zehn Tage in der Zelle schmoren lassen. Was meinen Sie, wie schnell die gesprächig würden und ihnen alles wieder einfiele.«
    »Trotzdem, Konstantin, mir kommt es nicht besonders wahrscheinlich vor, dass beim ersten Mal das Gift wirklich für Aurora bestimmt war und Studnjow nur zufällig von dem vergifteten Tajin probiert hat«, meinte Katja. »Wer ein solches Verbrechen plant wie einen Giftmord, macht so grobe Schnitzer nicht.«
    »Wetten, dass doch?«, grinste Lessopowalow. »Soll ich Ihnen ein Beispiel geben?«
    »Wenn Sie das können.«
    »Letztes Jahr war ich mit meiner Frau in ›Hamlet‹«, sagte Lessopowalow mit bescheidener Würde. »Am Ende tut da der König Gift in einen Pokal, Prinz Hamlet soll sich beim Sparring mit seinem Gegner die trockene Kehle mit Wein durchspülen und dabei den Löffel abgeben. Aber Stattdessen schnappt sich seine Mutter, die Königin, den Pokal. Der König sagt zu ihr: Nicht, du dummes Schaf, lass den Wein stehen – ganz fürsorglich, der Schweinehund. Und sie sagt, ich habe aber Durst. Und trinkt.«
    »Und hat sie den Löffel abgegeben?«, fragte Katja unschuldig.
    »Versteht sich. Nicht sofort allerdings, erst ein paar Sätze später. Ja, so kann es gehen.«
    »Sie haben Recht, die Klassiker geben uns manchmal wertvolle Hinweise. Besonders Shakespeare«, bemerkte Katja ernsthaft, bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. »Gehen Sie und Ihre Frau oft ins Theater, Konstantin?«
    »Selten. Wann hat man dafür schon Zeit? Wir schuften ja wie die Bekloppten. Kommt man dann total verschwitzt und schmutzig nach Hause, will endlich was zwischen die Zähne kriegen, fangen Schwiegermutter und Frau gleich an, dir die Ohren vollzunölen – wo warst du letzte Nacht, warum hast du nicht zu Hause geschlafen . . . Ach, ein Hundeleben ist das!« Lessopowalow seufzte. »Aber Ihre Freundin ist wirklich eine sehr kultivierte und gebildete junge Frau.« Er schwieg einen Moment. »Wissen Sie, was mir eingefallen ist? Ich könnte doch Anfissa Mironowna mal ins Theater einladen, auf rein freundschaftlicher Basis natürlich . . . Was meinen Sie -sie wäre doch nicht beleidigt? Immerhin bin ich ja ein verheirateter Mann, sie wird vielleicht sagen, der will bloß ein schnelles Abenteuer . . .«
    »Laden Sie sie ruhig ein, etwas Ablenkung wird ihr gut tun«, sagte Katja und dachte dabei bekümmert, dass Anfissa und sie nichts, aber auch gar nichts von den Vorlieben der Männer verstanden.
    Mochows Eltern wurden von einem Untersuchungsführer der Staatsanwaltschaft befragt, und darüber war Nikita Kolossow unendlich froh: Die schwere Pflicht, den Eltern die Nachricht vom Tod ihres einzigen Sohnes zu bringen, fiel diesmal nicht ihm zu. Bei der Durchsuchung der Wohnung und des Redaktionsbüros waren die beiden Personalcomputer Mochows beschlagnahmt worden, sein Diktaphon, sein Pager, sein Handy, Notizblöcke, Merkbücher, Berge von Disketten – alle nur denkbaren und undenkbaren Informationsträger. Um sie gründlich zu überprüfen, würde man Wochen brauchen. Die Verhöre ergaben nichts Besonderes. Mochows Eltern waren völlig gebrochen – es war außerordentlich schwierig, mit ihnen zu reden. Seine Redaktionskollegen verloren sich in Mutmaßungen. Die Mehrheit von ihnen neigte zu der Ansicht, dass der unglückselige Fugu-Fisch an allem schuld sei.
    Während der Durchsuchungen rief Nikita mehrmals Lessopowalow an – nach dem Gespräch mit Anfissa war dieser ins »Al-Maghrib«

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