Das Zauberschwert - 10
sondern meine Verwandten und meine Freunde. Aber wo ich auch suche, sie sind nicht da. Es ist, als seien ihre Seelen von dieser Welt weggewischt. Lange Zeit bin ich an dunklen Orten umhergewandert, bis ich plötzlich in deine Augen sah. Mir war, als kenne ich dich, obwohl ich dich noch nie erblickt hatte. Und dann zog mich irgendetwas in dir ständig zu dir zurück. Irgendwo, nicht in dieser Welt, haben wir einander berührt. Ich bedeute dir nichts, aber ich hatte dich in Gefahr gebracht, deshalb bemühte ich mich, dich zu retten. Und ich komme zurück, weil …“ – einen Augenblick sah es aus, als wolle sie anfangen zu weinen – „… ich so sehr allein bin, und ein Fremder ist immer noch besser als gar keine Gesellschaft. Möchtest du, dass ich wieder weggehe?“ „Nein“, antwortete Carr schnell, „bleib bei mir, Callista.
Aber ich verstehe das alles nicht.“
Sie schwieg eine Minute lang, als überlege sie. Gott, dachte Carr, wie real sie wirkt! Er sah sie atmen, sah ihre Brust unter dem dünnen, zerrissenen Gewand sich leicht heben und senken. Ihre eine Wange war schmutzig – nein, das waren blaue Flecken und Blut. „Bist du verletzt?“
„Eigentlich nicht. Du fragst mich, wie ich bei dir sein kann.
Sicher weißt du doch, dass wir in mehr als einer einzigen Welt leben und dass die Welt, in der du dich jetzt befindest, die feste Welt ist, die Welt der Dinge, die Welt stofflicher Körper und physischer Schöpfungen. Doch in der Welt, in der ich bin, lassen wir unsere Körper zurück wie ausgewaschene Kleidung oder abgeworfene Schlangenhäute, und was wir Ort nennen, existiert nicht. Ich bin an jene Welt gewöhnt, ich habe gelernt, mich in ihr zu bewegen. Nur werde ich in einem Teil gefangen gehalten, wo mich die Gedanken meiner Leute nicht finden können. Als ich über die graue, konturlose Ebene wanderte, berührten deine Gedanken die meinen, und ich nahm dich deutlich wahr, als hätten wir uns im Dunkeln die Hand gereicht.“
„Bist du im Dunkeln?“
„Wo mein Körper gefangen gehalten wird, ist es dunkel, ja.
In der grauen Welt kann ich dich ebenso sehen, wie du mich siehst. Auf diese Weise sah ich deine Flugmaschine abstürzen und erkannte, dass sie in die Schlucht fallen würde. Und ich sah dich verirrt im Schneesturm und wusste, dass du in der Nähe dieser Hütte warst. Jetzt bin ich gekommen, um dir zu zeigen, wo Lebensmittel liegen, falls du sie noch nicht gefunden hast.“
„Ich habe sie gefunden“, berichtete Andrew. „Und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich hielt dich für einen Traum, und du benimmst dich, als seist du wirklich.“ Wieder klang das leise Lachen auf. „Oh, ich versichere dir, ich bin ebenso wirklich und stofflich wie du. Und ich würde viel darum geben, wenn ich bei dir in dieser kalten, dunklen Hütte sein könnte, denn sie ist nur wenige Meilen von meinem Zuhause entfernt, und sobald der Sturm aufhörte, wäre ich frei und an meiner eigenen Feuerstelle. Aber ich …“
Mitten im Wort verschwand sie, ging aus wie ein Licht. Aus irgendeinem seltsamen Grund überzeugte das Andrew mehr von ihrer Realität als alles, was sie gesagt hatte. Wäre sie eine Halluzination gewesen, erzeugt von seinem Unterbewusstsein, so wie Männer in Gefahr, frierend und allein, tatsächlich nach ihren verborgensten Wünschen fremde Gestalten erscheinen lassen, dann hätte er sie dabehalten. Zumindest hätte er sie ihren letzten Satz beenden lassen. Die Tatsache, dass sie mittendrin verschwunden war, bezeugte nicht nur, dass sie auf unfassliche Weise hier gewesen war, sondern auch, dass eine unbekannte dritte Partei Macht über ihr Kommen und Gehen hatte.
Sie hatte Angst, und sie war traurig. Ich bin so allein, und ein Fremder ist immer noch besser als gar keine Gesellschaft.
Frierend und allein in einer merkwürdigen und unbekannten Welt, verstand Andrew Carr sie nur zu gut. So fühlte er sich auch, genau so.
Nicht etwa, dass es nicht schön wäre, sie tatsächlich zur Gesellschaft zu haben …
Sehr viel Befriedigung gibt einem eine Gefährtin, die man nicht berühren kann, nicht gerade. Und trotzdem … obwohl seine Hand sie nicht gespürt hatte, war etwas überraschend Zwingendes an dem Mädchen.
Er hatte massenhaft Frauen gekannt, zumindest im biblischen Sinn. Hatte ihre Körper und ein bisschen von ihrer Persönlichkeit gekannt, und was sie sich vom Leben wünschten.
Aber niemals hatte ihm eine von ihnen so nahe gestanden, dass es ihm Leid tat, wenn der Zeitpunkt gekommen war, in
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