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Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Titel: Das Zeichen der Schwalbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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allein!«
    »Miis Walker, es tut mir leid. Sich zu trennen, nicht zu heiraten, wie man es sich vorstellt … das tut weh. Aber vielleicht ist er kein guter Mann oder vielleicht kein guter Mann für Sie. Manchmal haben wir Glück und finden rechtzeitig heraus, dass wir dem Menschen, den wir lieben, nicht vertrauen können.«
    Da war es um ihre Selbstbeherrschung geschehen. Stattdessen kam die Wut. Sie war so wütend, wie sie es noch nie in ihrem Leben gewesen war. Sie packte die Gitterstäbe mit beiden Händen und wünschte, sie könnte den Mann auf der anderen Seite umbringen. »Vertrauen? Er hat mich vergewaltigt! Und sagte dann, es sei doch egal, wir würden ja sowieso heiraten, und ich glaube, er wollte, dass ich schwanger werde, und ich weiß noch nicht einmal, ob es meine Schuld ist – meine Mutter würde sagen, es war meine Schuld, wenn sie wüsste, was passiert ist, also kann ich es ihr nicht erzählen. Und der Polizei kann ich es nicht erzählen, weil ich meine Familie nicht einem Gerichtsverfahren aussetzen will, bei dem alle seine Freunde aus seiner Studentenverbindung sagen, ich sei … ich sei eine … Ich kann es noch nicht einmal meiner besten Freundin anvertrauen! Ich versuche, damit klarzukommen, und es hat auch geklappt und ich fühlte mich besser und heute dachte ich … Aber Sie … haben das kaputtgemacht … Sie … Sie … arroganter Mistkerl!« Sie hörte sich selbst Wörter kreischen, die sie noch nie jemandem an den Kopf geworfen hatte, bis sie schließlich vor lauter Weinen und Schluchzen nicht mehr weitermachen konnte.
    Der Hauptmann ließ sie schreien und weinen, bis sie kaum noch Luft bekam. »Es ist nicht gut, nichts zu sagen, wenn Ihnen etwas so Schreckliches passiert ist.« Er klang mitfühlend. Vernünftig. Was für ein Schwachsinn, dachte sie hilflos und hasste ihn. »Ist viele schlechte Leute auf der Welt, aber es ist nicht Ihre Schuld, wenn er einer davon ist.« Das machte alles nur noch schlimmer. Menina wollte sein Mitgefühl nicht. Und seine vernünftigen Sprüche wollte sie auch nicht. Sie wollte nicht, dass er oder sonst jemand davon wusste ! Dass er es wusste, war wie eine weitere Vergewaltigung. So fest sie konnte, trat Menina gegen die Gitterstäbe des locutio , bis das Gitter wie wild rappelte und ihr der Fuß wehtat. »Sie verdammter Idiot! Sie blöder … Sie Scheißkerl!«, schrie sie, so laut sie konnte.
    »Sie sind wütend«, sagte der Hauptmann. »Das ist gut! Seien Sie wütend auf ihn. Er verdient Ihre Wut. Und auf mich wütend zu sein, weil Sie mir das alles erzählt haben, ist besser, als auf sich selbst wütend zu sein, wegen etwas, was nicht Ihre Schuld ist.«
    »Ach, halten Sie doch endlich die Klappe, Sie Klugscheißer! Halten Sie einfach den Mund!«, schrie Menina wieder.
    Plötzlich erschien Sor Teresa und schimpfte: »Alejandro! Was ist hier los? Was hast du gesagt?« Sie legte Menina den Arm um die Schultern und sagte: »Wir gehen jetzt.«
    Schluchzend und nach Atem ringend ließ sich Menina von Sor Teresa wegführen. Der Hauptmann rief etwas und fing dann seinerseits an, gegen die Gitterstäbe zu trommeln. Es sei wichtig, brüllte er. Menina war es vollkommen egal. Einen kurzen Augenblick lang hatte sie sich fast wieder gefühlt wie immer, doch das war ein Trugschluss gewesen. Ihr Leben war zerstört. Den Rest des Tages verbrachte sie wie in einem Nebel aus Trostlosigkeit. Sie zwang sich, ihr T-Shirt und einen weiteren Satz Unterwäsche zu waschen, und spülte die Sachen so lange im eisigen Wasser der Pumpe aus, bis ihre Hände steif vor Kälte waren. Dann setzte sie sich in den Pilgergarten und versuchte, sich Notizen zu dem zu machen, was sie am Vormittag gefunden hatte. Sie konnte sich an nichts erinnern. Sie nahm ihren Reiseführer zur Hand und las ein und denselben Abschnitt immer und immer wieder, bis sie das Buch schließlich zur Seite legte, weil sie weinte. An diesem Abend stand ein Teller mit kleinen Mandelkuchen auf ihrem Tablett. »Polvor ó nes« , sagte Sor Teresa und ging wieder hinaus.
    Menina hatte keinen Appetit, weder auf die Kuchen noch auf irgendetwas anderes. Sie legte sich hin und starrte in die Dunkelheit. Ihr fiel ein, dass sie sich die Zähne nicht geputzt hatte. Erst wollte sie aufstehen, um es nachzuholen, doch dann beschloss sie, dass ihr Leben eh zum Teufel ging und ihre Zähne ebenso gut verfaulen konnten.

KAPITEL 15
    Kloster Las Golondrinas, Spanien, April 2000
    Am nächsten Morgen schrillte Sor Teresas Stimme munter »

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