Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
hat.« Sor Clara wiederholte den Namen und fügte etwas auf Spanisch hinzu. »Mehrmals vielleicht, sie ist sich nicht sicher«, sagte Sor Teresa.
Menina vermutete, dass Sor Claras Gedächtnis ihr wahrscheinlich einen Streich spielte, doch sie wollte nicht unhöflich sein. »Das wäre … unglaublich. Wenn das Kloster eines seiner Gemälde hat, könnte das eine Menge Geld wert sein, also sollten wir auf jeden Fall danach suchen. Und, sehen Sie, wenn Trist á n Mendoza seine Arbeiten signiert hat, malte er immer eine Schwalbe unter seine Signatur, genau wie der kleine Vogel auf der Rückseite dieser Medaille. Mein Dad sagt, es ist eine Schwalbe, ähm, eine golondrina , wegen des gegabelten Schwanzes. Also habe ich mich gefragt, warum er das gemacht hat und darum –«
Sor Teresa unterbrach sie. »Ist Zeit für Vigil. Früher haben alle Nonnen in Semana Santa Nachtwache gehalten, doch nun wechseln wir uns ab.«
Sie legte die Medaille auf den Tisch zurück. Ihre alte Hand zitterte. »Kommen Sie, Sor Clara«, befahl sie auf Spanisch.
Sor Clara gehorchte widerspruchslos und als sie den beiden nachsah, fiel Menina auf, wie dünn und gebrechlich die beiden alten Damen aussahen. Ihre Nonnentracht war fadenscheinig und an manchen Stellen geflickt, der Saum war zerfranst. Die Armen!, dachte Menina. Es musste doch irgendetwas geben, das sie verkaufen konnten! Und am besten machte sie sich bald auf die Suche danach, denn wenn sie es nicht tat, würde es so bald auch niemand anders tun. Damit könnte sie sich die Zeit vertreiben, bis sie wieder abreisen konnte, und wenn sie nichts fand, was sich verkaufen ließ, nun, dann musste sie sich etwas einfallen lassen, um den Nonnen zu helfen. Und überhaupt: Vielleicht gab es ja tatsächlich einen Trist á n Mendoza hier im Kloster? Wenn das kein Thema für eine Abschlussarbeit war!
Ihr Hunger erinnerte sie an ihr Abendessen auf dem Tisch. Während sie im Schein der Kerze ein kaltes Gemüseomelette aß und einen kleinen Krug Wein leerte, las sie noch einmal in dem Reiseführer. Sie versuchte, sich das Brot aufzuheben, doch ihr Hunger war so groß, dass sie es ebenfalls hinunterschlang. Dann blies sie die Kerze aus, die ein gutes Stück heruntergebrannt war, doch sie fühlte sich überhaupt nicht schläfrig. Wie hatten die Leute vor Fernsehen und Taschenbüchern bloß die Abende verbracht? Sie wälzte sich unruhig im Bett hin und her, boxte sich ihr klumpiges Kissen zurecht und wünschte, es wäre schon Morgen. Dann hörte sie unten im Dorf Trommeln und Gesang. Wie gern würde sie sehen, was da vor sich ging! Vielleicht gab es eine Möglichkeit, die Felswand am Ende des Pilgergartens hochzuklettern und von dort aus ins Dorf zu sehen. Außerdem hatte sie Durst und ihre Wasserflasche war leer.
Menina tastete nach den Streichhölzern, zündete den Kerzenstummel an und fand die leere Wasserflasche. Sie zog ihre Schuhe an, wickelte sich die Decke von ihrem Bett um die Schultern und öffnete vorsichtig ihre Zimmertür. Der Gang war unheimlich, doch wenn alte Damen sich im Dunkeln zurechtfanden, gab es keinen Grund zur Sorge. Sie trat mutig in die Dunkelheit und versuchte, im schwachen Lichtschein der Kerze einen Bogen um zerbrochene Fliesen zu machen. Mit einer Hand stützte sie sich an der Wand ab und bahnte sich einen Weg zu der schief hängenden offenen Holztür, die in den Garten führte und in der tiefschwarzen Finsternis des Ganges ein helleres Rechteck abbildete. Die Nachtluft war kühl, doch nach dem moderigen Geruch im Innern des Gebäudes war ihre Frische wunderbar. Am Himmel blinkten die Sterne und sie roch die Osterfeuer und hörte den Gesang und das unregelmäßige Klatschen der Zuschauer, das die Musik begleitete.
Menina fühlte unter ihrer Hand die Felswand, die noch warm von der Sonne des Tages war. Schließlich ertastete sie das schmale Rohr, aus dem Wasser in das Becken rann. Sie füllte ihre Flasche und trank. Dann blies sie ihre Kerze aus, wickelte die Decke fester um ihre Schultern und saß warm eingehüllt da, betrachtete die Sterne, lauschte auf das friedliche Plätschern des Wassers und auf die Stimmen der Frauen, die durch die Dunkelheit klangen. War das so, wie die Nonnen es erlebten? Dass sich außerhalb der Mauern das Leben abspielte, dass sie es hörten und rochen, ohne es jemals sehen oder daran teilnehmen zu können? Sie hatte nicht mehr an Klöster gedacht, seit sie klein war und ihre Eltern ihr die Fotos von dem Ort zeigten, an dem sie sie gefunden
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