Das Zeichen des Vampirs - The Society of S
wann du endlich kommen würdest.«
Dann breitete sie die Arme aus und ich rannte auf sie zu.
Dieses Mal kümmerte es mich nicht, ob mich jemand weinen sah.
Und jetzt kommt der Teil, der am schwierigsten ist. Wie soll man beschreiben, was man fühlt, wenn man zum allerersten Mal die Liebe seiner Mutter spürt, ohne dass es sich wie in einem abgedroschenen Schnulzenroman anhört?
Aber vielleicht muss ich es auch gar nicht versuchen. In der Bibel gibt es eine Stelle, die es genau so beschreibt, wie es sich für mich anfühlte: »Frieden, der all unser Verstehen und all unsere Vernunft übersteigt.«
DREI
The Blue Beyond
Dreizehntes Kapitel
Die Straße, die zum Haus meiner Mutter führte, war eine holperige Schotterpiste. Wir saßen in einem wei ßen Pick-up, den meine Mutter geschickt um die tiefsten Schlaglöcher herumlenkte, aber es blieb trotzdem eine aufregende Fahrt. Sie fuhr sehr schnell, und als ich in den Seitenspiegel blickte, sah ich, dass wir eine dicke Staubwolke hinter uns herzogen. Als sie nach rechts abbog, gelangten wir auf eine noch schmalere Straße, in deren Kurven kleine weiße Lämpchen leuchteten. Kurz darauf hielt sie vor einem hohen Aluminiumzaun, in den ein großes Tor eingelassen war.
»Hässlich, nicht?«, sagte sie. »Aber hin und wieder notwendig.« Sie stieg aus, öffnete das Tor, fuhr hindurch und schloss es wieder.
Ich musste sie die ganze Zeit ansehen. »Wie soll ich dich eigentlich nennen«, fragte ich, als sie wieder in den Wagen einstieg.
Sie lächelte. »Nenn mich doch Mãe«, sagte sie. »Das ist das portugiesische Wort für Mutter. Es klingt irgendwie netter als Mutter , findest du nicht?«
»Mãe.« Ich zog die zwei Silben in die Länge: Mei-jeh.
Sie nickte. »Und ich nenne dich Ariella. Den Namen habe ich schon immer geliebt.«
Die ausladenden Wipfel hoher Bäume überspannten die Straße mit einem Blätterdach; es waren Lebenseichen, von deren Ästen Louisianamoos herabhing, und eine andere Baumart, die ich nicht kannte. Später erfuhr ich, dass es Mangrovenbäume waren.
»Westlich von hier liegt der Fluss«, sagte Mãe. »Und im Osten grenzt unser Grundstück an ein Landschaftsschutzgebiet. Wir besitzen insgesamt sechzehn Hektar Land.«
»Wir?«
»Dashay, die Tiere und ich«, sagte sie. »Und jetzt auch du.«
Ich wollte gerade fragen, wer Dashay war, aber da bogen wir schon um die nächste Kurve, und ich sah das Haus. Noch nie hatte ich so etwas gesehen. Das eigentliche Haus war rechteckig, aber nachträglich waren offenbar noch etliche Erker, Anbauten und Balkone hinzugefügt worden. Fenster unterschiedlicher Größe und Form schienen willkürlich in die Mauern eingelassen worden zu sein; kleine, schiefe Luken wechselten sich mit runden Fenstern ab. Die Hauswände waren graublau; später erfuhr ich, dass die Anbauten farblich passend verputzt worden waren. Das Haus schien in der Vormittagssonne förmlich zu funkeln (Übrigens kam sie mir viel strahlender vor als sonst; ob das an der Sonnenfinsternis lag oder daran, dass ich meine Mutter wiedergefunden hatte, ich wusste es nicht).
Wir stiegen aus dem Wagen. Mãe trug meinen Rucksack. Als wir an der Eingangstür angekommen waren, strich ich bewundernd über die Hausmauer, die von silbernen, schiefergrauen und mitternachtsblauen Adern durchzogen war. »Wunderschön«, sagte ich.
»Das ist Kalkstein«, erklärte Mãe. »Das Haus wurde in den
50er-Jahren des 19. Jahrhunderts gebaut. Dieser Teil ist alles, was noch von ihm übrig ist, den Rest hat die Unionsarmee zerstört.«
Neben der Tür stand eine aus Stein gehauene Statue von einer Frau auf einem Pferd und daneben eine Urne mit Rosen. »Wer ist das?«, fragte ich.
»Du kennst sie nicht?« Mãe schien überrascht zu sein. »Epona, die Göttin der Pferde. Jeder Stall, der etwas auf sich hält, hat ihr einen Schrein gewidmet.« Sie öffnete die schwere Holztür und winkte mich herein. »Willkommen zu Hause, Ariella.«
Und zu Hause duftete es so: nach Zitronenpolitur für Holz, nach Rosen, nach einer köstlichen Suppe, die irgendwo vor sich hin köchelte, nach Lavendel, nach Thymian, nach wei ßen Geranien und nach einem Hauch von Pferd. Mãe zog ihre Schuhe aus und ich tat es ihr nach. Einer meiner Strümpfe hatte ein großes Loch in der Ferse, was mir unendlich peinlich war. Sie bemerkte es, sagte aber nichts.
Als ich mich zum ersten Mal umsah, hatte ich den Eindruck, dass das Haus mit einem kunterbunten Durcheinander von Dingen vollgestopft war: an den
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