Das Zeit-Tippen
einerlei, ob Caroline einen guten Ruf bei den Rezensenten genoß, daß all ihre Bücher gebunden waren und daß es ihr ohne Selbstförderung gelang? Aber Carl förderte ihr Werk und achtete darauf, daß es den richtigen Leuten in die Hände fiel.
„Sie hat mich nicht direkt verlassen“, sagte Pfeiffer und rückte auf dem Divan näher an Mantle heran. Unbehaglich wich Mantle ein Stück zur Seite. Er hatte das Gefühl, daß Pfeiffer ihn bereits erdrückte. Ironischerweise hatte Pfeiffer immer körperlichen Abstand von Mantle gewahrt, der weniger psychologischen Freiraum benötigte. Einmal, noch bevor sie miteinander verstrickt wurden, durchkreisten sie auf einer Party des Presseklubs den ganzen Saal, wobei Mantle immer wieder auf Pfeiffer zutrat, um sich mit ihm von Angesicht zu Angesicht zu unterhalten, während Pfeiffer immer wieder zurücktrat, an seinem Inhalator herumfummelte, sich dann entschuldigte, um nach Caroline zu sehen und sich einen neuen Drink zu holen.
„Ich kann mir euch beide nicht getrennt vorstellen“, sagte Mantle aufgeregt und schadenfroh über Pfeiffers Mißgeschick. Als das alte Schuldgefühl wieder in ihm aufstieg, versuchte er es wie eine offene Weinflasche zu verkorken. Einen Augenblick versetzte er sich fünfzehn Jahre zurück, als Josiane ihn zum erstenmal verlassen hatte: nach Philadelphia vor den Massenunruhen und den Schreiern, vor dem Ausgehverbot und dem Kriegsrecht. In Pfeiffers Wohnung mit der verschlissenen Couch. Pfeiffer stand vor seinen Büchern, und Mantle hörte ihm zu…
„Du wirst auch ohne Josiane zurechtkommen“, hatte Pfeiffer gesagt. „Sie ist noch jung und braucht Freiraum zum Atmen. Ihr seid schließlich euer ganzes Leben lang zusammengewesen. An deiner Stelle wäre ich nicht so geknickt wie du. Ich würde stärker sein. Sie wird wahrscheinlich sowieso zurückkommen…“
Und Pfeiffer hatte recht behalten: Mantle heiratete sie drei Monate später.
„Nun ja“, sagte Mantle, „man muß eben stark sein, wie du es mir einmal geraten hast.“
„O nein, so verhält es sich nicht“, sagte Pfeiffer abwehrend. „Die Trennung war ganz natürlich. Unsere Karrieren verliefen in verschiedenen Richtungen, wir entwickelten verschiedene Interessen.“
„Gewiß“, sagte Mantle, der kribbelig wurde und sich bemühte, eine Ausrede zu finden, um Pfeiffer davon abzuhalten, bei ihm zu bleiben. Er spürte, daß eine Falle im Begriff war zuzuschnappen.
„Aber das liegt alles weit zurück“, sagte Pfeiffer, „und ich nutze diese Zeit, um mich an mein neues Leben zu gewöhnen.“
„Daran tust du gut“, sagte Mantle unverbindlich. „Es tut mir leid, daß ich es so kurz machen muß, aber ich bin heute abend besetzt und…“
„Mein Gott, ich habe dich fünf Jahre nicht gesehen. Ist das alles, was du mir zu sagen hast?“
„Es tut mir wirklich leid, Carl.“ Verdammt, kapier doch diesen Wink mit dem Zaunpfahl! Er zwang sich, Pfeiffer in die Augen zu sehen, der daraufhin den Blick senkte.
„Hättest du etwas dagegen, wenn ich ein paar Tage bei dir bleibe?“ fragte Pfeiffer.
Zu seinem eigenen Entsetzen sagte Mantle: „Nein.“
Das holographische Bild eines gutgekleideten Mannes erschien, als säße er wie selbstverständlich mitten im verschlossenen Schlafzimmer.
„Oh, Monsieur Mantle“, sagte Pretre, wobei er den Namen falsch aussprach. „Wie ich sehe, haben Sie wieder einmal Ihr Video nicht eingeschaltet. Wie kann ich Sie denn, wenn wir uns jemals treffen sollten, erkennen?“ Pretre war ganz in Braun, bis auf sein weißes hochgeknöpftes Hemd; wie immer schien er sich unbehaglich zu fühlen.
„Ich bin nicht angezogen“, log Mantle, „und es herrscht hier eine fürchterliche Unordnung.“ Er machte eine Armbewegung, als könnte Pretre ihn sehen. Aber Mantle wollte nicht, daß ihn irgend jemand in diesem Zimmer sah oder darin war. Es war ein Mausoleum, ein unaufgeräumter Schaukasten für Josianes Überbleibsel, die Mantle gesammelt hatte: Tagebücher (seine, wie auch Josianes), Hologramme, auf denen Josiane posierte und spielte und tanzte, alte Zettel und Fotos, alte Fex-Ausschnitte, Kalender mit Notizen, sogar Kleider, Schmuck und Toilettenartikel lagen im Zimmer herum, als hätte Josiane es gerade hastig verlassen. Und in Schubladen und Taschen versteckt befanden sich Briefe, Aufzeichnungen und verschiedene Papiere; sie waren der Schlüssel zu seinem Gedächtnis, das er nicht einmal an das Computernetz anzuschließen wagte. „Ich bin
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