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Das zerbrochene Siegel - Roman

Das zerbrochene Siegel - Roman

Titel: Das zerbrochene Siegel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Eder
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aus Worms, der Gerichtsbarkeit des Burggrafen überstellt worden war.
    Ursprünglich hatte Bandolf beabsichtigt, sein Glück durch das Büßerpförtchen zu versuchen, um ungesehen zum Hospiz zu gelangen, doch Serafinas kleiner Unfall bot ihm die Gelegenheit, das Kloster durch die verwaiste Hauptpforte zu betreten.

    Stille lag über Mariamünster. Wie es die Regel des heiligen Benedikt bestimmte, nutzten die Nonnen die Zeit zwischen Sext und Non’ zur Besinnung und inneren Einkehr.
    Zur Rechten des Haupttors lag ein Gebäude, in dem Hospiz und Gästehaus untergebracht waren. Das Gastrecht im Kloster war heilig. Jedermann durfte um eine Unterkunft bitten, und so beherbergten die Quartiere stets Pilger, Ordensleute und Reisende aller Stände. Ein schmaler Durchlass trennte die Unterkünfte vom Hospiz, und nebenan befand sich die Küche, in denen die Mahlzeiten für die Gäste und die Kranken zubereitet wurden.
    Als Bandolf den Durchlass betrat, fand er eine niedrige Pforte, die zum Hospiz, und gegenüber ihren Zwilling, der zum Gästehaus führte. Er blieb kurz stehen und lauschte, doch es war nichts zu hören. Offenbar taten es die Gäste den Nonnen gleich und pflegten nach dem Mittagsmahl die Ruhe.
    Behutsam öffnete der Burggraf die Tür zum Hospiz und verzog das Gesicht. Es roch nach Elend und Tod. Ein paar Fackeln brannten an den Wänden, und am Ende des Gangs flackerte unstet das Ewige Licht neben einem kleinen Altar. Der Raum auf der linken Seite war in vier kleine Zellen unterteilt. Rechts gab ein Durchgang den Blick auf die Krankenstube frei, und er hörte die laute, raue Stimme einer Nonne, noch ehe er sie neben einem der Strohlager knien sah. Nur wenig Licht, das von einigen Talglampen stammte, beleuchtete den Raum.
    Bandolf trat ein und kniff die Augen zusammen, um im Halbdunkel die Gesichter der Kranken besser erkennen zu können. Die Nonne beachtete ihn nicht.
    Erst als er hinter ihr stand, schien sie seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen und fuhr auf. Ein altes, faltiges Gesicht und erzürnt funkelnde Augen, umrahmt von einem schwarzen Schleier, starrten zu ihm auf.

    »Allmächtiger!«, schrie sie. »Was habt Ihr mich erschreckt!«
    Einige der benachbarten Kranken rührten sich. Unwillkürlich senkte Bandolf seine Stimme.
    »Es tut mir leid, Schwester. Ich wollte Euch nicht ängstigen.«
    »Was wollt Ihr?«, schrie die Nonne in unverminderter Lautstärke weiter.
    »Ich suche Beatrix von Teveno.«
    »Was sagt Ihr da?«, dröhnte die alte Nonne.
    Jemand seufzte vernehmlich, und Bandolf drehte den Kopf. Ebenso verschrumpelt wie die Schwester, entblößte der Mann auf der nachbarlichen Schlafstatt seinen zahnlosen Mund.
    »Die Gute ist stocktaub«, nuschelte er.
    Bandolf nickte und wandte sich wieder an die Nonne. »Wo finde ich Beatrix von Teveno?«, rief er.
    »Was meint Ihr?«
    Bandolf rollte die Augen und brüllte: »Beatrix von Teveno?«
    »Dort drüben. In der ersten Zelle«, schrie die Nonne zurück.
    Überzeugt davon, dass mittlerweile jeder im Hospiz von seiner Anwesenheit wusste, beschloss Bandolf, sich zu beeilen.
    Doch als er die kleine Zelle gegenüber der Krankenstube betrat, war ihm klar, dass er umsonst gekommen war.
    Zwei kleine Talglampen tauchten den winzigen Raum in schummriges Licht und zeigten dem Burggrafen ein frisch aufgeschüttetes Strohlager, auf dem sich Beatrix von Teveno unruhig hin und her wälzte. Ihr hochrotes Gesicht, umrahmt von klebrigem blonden Haar, wirkte so mager, dass die kleine Nase scharf hervorstach. Schweiß perlte auf ihrer Stirn, rann über die eingefallenen Wangen und sammelte
sich unterhalb der Kehle in ihrer Halsbeuge. Eine Decke lag über ihrem Leib. Ihr Alter war schwer zu bestimmen, doch trotz der dunklen Ringe unter ihren Augen und der halb geöffneten, rissigen Lippen glaubte Bandolf, eine Spur vergangener Schönheit in Beatrix’ Gesicht zu erkennen.
    Der Burggraf seufzte. Hier würde er keine Antworten finden.
    Unvermittelt stieß die Kranke ein dumpfes Stöhnen aus und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Offenbar hatte sie Durst. Einen Moment lang zögerte er, und die Furcht vor Ansteckung kämpfte mit simpler Christenpflicht. Doch dann beugte er sich nieder und füllte eine kleinere Schale mit Wasser aus einer größeren, die beide neben der Bettstatt auf dem Boden standen. Vorsichtig schob er einen Arm unter Beatrix’ Kopf, um ihn anzuheben, und hielt ihr die Schale an die Lippen. Ohne die Augen zu öffnen, trank sie einen

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