Das Zweite Imperium
schon unterwegs. Übrigens – da fällt mir ein, ich könnte Sie zur Abwechslung einmal ›Helena von Troja‹ nennen. Der Name würde ausgezeichnet zu Ihnen passen. Sie kennen unsere alte Geschichte natürlich nicht. Aber jene Helena löste einen Krieg aus, an dem tausend Kriegsschiffe beteiligt waren. Sie bringen zwar nur ein Schiff auf die Reise, aber Sie können mir glauben, daß die
Dauntless
nicht zu verachten ist.«
»Das will ich hoffen«, erwiderte die ›Älteste‹ und kam in der ihr eigenen Art sofort auf das Hauptproblem zurück. »Natürlich haben wir kein Recht, Sie um Hilfe zu bitten, und ich würde es verstehen, wenn Sie ...«
»Darüber machen Sie sich keine Sorgen, Helena. Im Grunde unseres Herzens sind wir kleine Pfadfinder, die jeden Tag ihre gute Tat vollbringen müssen. Und heute hatten wir noch nichts auf dem Programm.«
»Scherzen Sie nicht«, erwiderte die Lyranerin humorlos. »Ich will Ihnen im übrigen nichts vormachen. Wir werden uns niemals überwinden können, Ihnen oder Ihresgleichen Sympathie entgegenzubringen. Aber unsere Lage ist so verzweifelt, daß Sie einfach das kleinere von zwei Übeln darstellen. Wenn Sie uns jetzt helfen, erklären wir uns einverstanden, Ihre Patrouille zu tolerieren und sogar gelegentliche Besuche durch Angehörige Ihrer Rasse zuzulassen.«
»Alle Achtung, das ist ein großes Versprechen«, sagte der Lens-Träger beeindruckt. Offenbar steckten die Lyranerinnen wirklich in der Klemme. »Halten Sie durch. Wir kommen mit Höchstgeschwindigkeit!«
Der gewaltige Patrouillenkreuzer raste durch das All; er war so schnell, daß die wenigen Atome, die es in diesem Vakuum gab, nicht schnell genug zur Seite gedrückt werden konnten, sondern in den Schirmen der
Dauntless
untergingen. Und überall an Bord waren die Ingenieure und Waffenoffiziere damit beschäftigt, das Schiff in Kampfbereitschaft zu versetzen und seine Feuerkraft, wenn das überhaupt möglich war, noch weiter zu erhöhen.
Eine Stunde später kam Illona strahlend in Kinnisons Kabine gestürzt.
»Sie sind einfach prima, Lens-Träger!« rief sie. »Wirklich
prima!
«
»Wer ist prima?«
»Ihre Leute«, sagte sie begeistert. »Sie alle. Sie befinden sich tatsächlich aus freien Stücken an Bord! Das ist einfach unvorstellbar! Die Offiziere kommen ohne Peitschen aus und werden von ihren Untergebenen sogar geachtet. Das scheint für alle zu gelten – für die Offiziere, die überall auf die Knöpfe drücken und die die Karten oder die kleinen Glasdinger studieren, und sogar für den kleinen grauhaarigen Mann mit den vier Ärmelstreifen! Überall im Schiff hat man eine ganz phantastische Meinung von Ihnen. Ich hielt es für verrückt, daß Sie sich hier an Bord ohne DeLameter und ohne Leibwächter bewegt haben, und ich habe jeden Augenblick damit gerechnet, daß man Ihnen ein Messer zwischen die Rippen stoßen würde, aber das scheint niemand zu wollen. Ich finde das einfach unglaublich! Außerdem hat mir Hank Henderson gesagt, daß ...«
»Einen Augenblick!« befahl Kinnison. »Beruhigen Sie sich erst einmal, ehe Sie noch völlig durchdrehen.« Er hatte recht gehabt. Ohne es zu wissen, steckte dieses Mädchen voller wertvoller Informationen über alle boskonischen Lebensbereiche. »Genau das habe ich Ihnen gestern und heute klarmachen wollen. Ich wollte Ihnen sagen, daß unsere Zivilisation weitgehend auf der Freiheit jedes Individuums beruht, tun zu können, was es will, solange es der Öffentlichkeit keinen Schaden zufügt. Das bedeutet überdies das Bemühen um eine Gleichheit aller intelligenten Lebewesen in der Galaktischen Zivilisation.«
»Ich wußte, was Sie mir sagen wollten«, erwiderte sie, »aber ich konnte Sie nicht verstehen. Ich sehe noch immer nicht ganz klar ... Ich kann einfach nicht begreifen, daß Sie alle ... Wissen Sie eigentlich, was geschehen würde, wenn ich an Bord eines lonabarischen Schiffes herumwandern und mich mit den Offizieren unterhalten würde, als ob sie meinesgleichen wären?«
»Nein – was?«
»Zunächst wäre es unvorstellbar, daß ich so etwas wagen könnte – so etwas gibt es einfach nicht. Aber wenn ich es doch täte, würde ich schwer bestraft – vielleicht mit vierundzwanzig Peitschenhieben. Ich bin ein wenig durcheinander, weil mich auf Lonabar niemand als gleichberechtigt behandeln würde. Auf Lonabar steht der Mitmensch entweder über oder unter einem. Ich hoffe, daß wir bald die Erde erreichen, damit ich mehr über die Zivilisation
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