Das zweite Königreich
ihres huldvollen Königinnenlächelns. »Ihr habt mir gerade vermutlich einen großen Dienst erwiesen, und dafür bin ich Euch dankbar. Dabei war ich so hart zu Euch, ich hätte verstanden, wenn Ihr einfach davongeschlichen wäret.«
Er verneigte sich tief vor ihr. »Ihr irrt Euch, Madame. Ich verdanke Euch mein Leben sowie die Rückkehr aus dem Exil und werde immer in Eurer Schuld stehen. Und Eure Härte war ja nicht unverdient.«
Sie sah ihn nachdenklich an. »Ich bin mir dessen gar nicht mehr so sicher, Thane. Jetzt da ich weiß, wie leicht Liebe zu Betrug und Verrat führt, weil sie einfach soviel stärker ist als das Gewissen. Ich habe oft über Euch nachdenken müssen in den letzten Monaten, nun da ich selbst erfahren habe, wie es sich anfühlt, zwischen zwei Menschen zu stehen, die man liebt, den einen nicht lieben zu können, ohne den anderen zu betrügen. Und auf einmal kann ich Euch nicht mehr verurteilen für das, was Ihr getan habt.« Sie lächelte traurig. »Ihr wißt ja, Cædmon. Hochmut kommt vor dem Fall.«
Er sah ihr in die Augen und fand einen Moment keine Worte. Dann sank er vor ihr auf die Knie, nahm die Hand, die sie ihm reichte, und führte sie einen Augenblick an die Lippen. Er fand es enorm mutig, vor allem aber großzügig, daß sie ihm diese Dinge gesagt hatte. »Ich danke Euch, Madame«, sagte er leise. »Und ich werde für Euren Boten tun, was ich kann.«
»Nein, Cædmon«, widersprach sie erschrocken. »Ich habe gehört, wie der König Euch gewarnt hat, Ihr macht Euch nur selbst unglücklich. So … so furchtbar es auch ist, daß den armen Gilbert seine Treue zu mir so teuer zu stehen kommt, Ihr könnt es nicht verhindern.«
Er erhob sich und lächelte beinah verschwörerisch. »Nein, ich kann es wohl nicht ganz verhindern. Aber vielleicht ist die Wache ja nachlässig und blendet ihn nur auf einem Auge. Und in ein paar Tagen, wenn der König seinen Zorn auf Euren Ritter vergessen hat, wird die Wache vielleicht noch ein wenig nachlässiger und läßt den treuen Gilbert entwischen.«
Sie sah ihn unsicher an. »Das … ginge?«
Cædmon nickte. Michel, sein alter Freund in der Burgwache von Rouen, würde es schon irgendwie richten, wenn Cædmon ihm bei einem Becher Wein in einem ruhigen Winkel erklärte, wie die Dinge lagen. »Oh, Cædmon …« Die Königin preßte eine Hand auf den Mund und mußte gegen neue Tränen ankämpfen. »Ich wäre Euch so dankbar. Und wenn es irgend etwas gibt, das ich tun kann, um mich erkenntlich zu zeigen …«
Er sah ihr einen Moment in die Augen. Dann lächelte er schwach. »Es wäre wohl ausgesprochen unritterlich, Euch beim Wort zu nehmen. Außerdem scheint Ihr zu vergessen, daß Ihr meine Königin seid und Anspruch auf meine Dienste ohne Gegenleistung habt. Aber wenn Ihr wieder einmal Euer Herz erforscht und bei der Gelegenheit feststellt, daß Ihr nicht nur mir, sondern auch Aliesa verziehen habt, dann schreibt ihr einen Brief und laßt es sie wissen, Madame. Es … es würde ihr so viel bedeuten.«
Sie nickte, ohne zu zögern. »Natürlich werde ich es tun.«
Auf der Treppe fragte Cædmon sich flüchtig, weswegen William wohl ursprünglich nach ihm geschickt hatte, aber er ging nicht zurück, um es herauszufinden. Niemand begab sich derzeit freiwillig in die Nähe des Königs.
Als er die Halle durchquerte, entdeckte er Wulfnoth mit der Laute an seinem angestammten Platz und trat zu ihm.
Wulfnoth hob den inzwischen angegrauten Kopf und lächelte. »Cædmon. Setz dich zu mir. Du siehst so aus, als bräuchtest du dringend etwas zu trinken.«
»So ist es auch. Aber ich kann nicht bleiben.«
Wulfnoth winkte ab. »Was könnte so eilig sein, daß du dir nicht die Zeit für einen Becher Wein nimmst?« fragte er.
Cædmon seufzte tief. In den letzten Monaten hatte er Wulfnoth so manches Mal um sein zurückgezogenes Geiseldasein beneidet, das ihn von allen politischen Ereignissen entrückte. Wulfnoth war seit jeher Opfer, Spielball und passiver Zuschauer gewesen. Er wußte alles, durchschaute jeden, doch seit seine eigene Familie sozusagen aus dem Rennen war, konnte er sich den Luxus erlauben, die Dinge mit Distanz zu betrachten und nicht gerade selten mit spöttischen Kommentaren zu würzen. Cædmon wurde hingegen als unfreiwilliger Vertrauter des Königs immer tiefer in die politischen Intrigen und Machtkämpfe verstrickt, und manchmal kam es ihm so vor, als sei die Freiheit kein zu hoher Preis für das Privileg, diesem Sumpf zu
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