Das zweite Königreich
nassem Heu.
Cædmon führte Frison in den Stall. Niemand war dort, also überließ er es Odric und Elfhelm, die ihn begleitet hatten, sein Pferd und ihre eigenen zu versorgen.
Als er auf die Zugbrücke zuging, erwartete ihn wie so oft der Steward am Tor.
»Willkommen daheim, Thane.«
»Danke, Alfred. Wie steht es hier mit der Rinderpest?«
Sie überquerten die Brücke, und Alfred schüttelte mutlos den Kopf. »Es ist schrecklich, Cædmon. Sie krepieren schneller, als wir die Kadaver von den Weiden holen können.«
»Was ist mit unseren eigenen Tieren?«
Sie stiegen die Treppe hinauf, und Alfred hielt ihm die Tür auf. »Wir haben noch zwei Milchkühe und ein Kalb und keinen einzigen Ochsen mehr.«
Die Halle war wie ausgestorben. Das trübe Licht des wolkenverhangenen, schwülen Augusttages fiel durch die kleinen Fenster auf verwaiste Tische und kalte Asche im Herd.
Cædmon sank auf die erstbeste Bank nieder, als sei plötzlich die Kraft aus seinen Beinen gewichen. »Alle sechzehn Ochsen verendet? Und nur zwei Kühe übrig? Von fünfundzwanzig?«
Alfred setzte sich neben ihn und ließ den Kopf hängen. »Ja. Das entspricht etwa dem Durchschnitt. Von zwanzig Tieren sterben neunzehn.« »Gütiger Himmel …« Cædmon fuhr sich ratlos mit der Hand über Kinn und Hals. Das war eine Katastrophe.
»Ich hole dir einen Becher Bier, Cædmon. Hier ist niemand. Ich habe jeden, der ein Paar Hände hat, auch Greise und Kinder auf die Felder geschickt, um von der Ernte zu retten, was eben noch zu retten ist.« Die anhaltende Trockenheit während des Frühjahrs und des Sommers war schon schlimm genug gewesen, doch die Unwetter, die fast gleichzeitig mit der Erntezeit begonnen hatten, hatten den größeren Schaden angerichtet.
Cædmon schüttelte den Kopf und legte seinem Vetter die Hand auf die Schulter. »Laß nur, ich mach’ das selbst. Ich bin sicher, du willst wieder an die Arbeit. Weißt du, wo meine Frau ist?«
Alfred wies auf die Treppe. »Bei Bruder Oswald und den Kindern.« »Gut. Ich gehe sie begrüßen, und dann komme ich und helf ’ dir.«
»Ælfric und Wulfnoth hast du nicht mit heimgebracht? Oder Eadwig?« fragte der Steward und bemühte sich ohne großen Erfolg, den leisen Vorwurf aus seiner Stimme herauszuhalten. Alfred fand, in einer Krise wie dieser sollte jeder Mann der Familie nach Hause eilen.
Cædmon erhob sich und schüttelte den Kopf. »Der König geht bald auf den Kontinent und nimmt seine Söhne mit. Die Prinzen ihrerseits nehmen ihre Ritter und Knappen mit. Darum konnte keiner von ihnen nach Hause kommen. Es ist nicht ihre Schuld, weißt du.«
»Nein, natürlich nicht. Vermutlich können wir von Glück sagen, daß der König dich nicht auch noch mitnimmt.«
Aliesa sagte das gleiche, als sie am Abend nebeneinander im Bett saßen und endlich in Ruhe reden konnten. »Und ich bin froh und dankbar, daß der König dich hierläßt, aber ich habe Mühe zu glauben, daß er es aus Rücksichtnahme und Herzensgüte tut. Was ist es? Habt ihr gestritten?«
Cædmon warf ihr einen ungläubigen Blick zu. » Gestritten ? Wer mit dem König ›streitet‹, reitet nicht frei und unversehrt nach Hause. Nein, nein. Es hat nichts zu bedeuten; schließlich hat er mich meistens hiergelassen, wenn er auf dem Kontinent war. Er wirbt schon wieder neue Truppen an. Wenn alles vorbereitet ist, wird er nach mir schicken, hat er gesagt.«
»Wenn was vorbereitet ist?«
Cædmon antwortete nicht sofort. Donner grollte in der Ferne, und er sah zerstreut, mit gerunzelter Stirn zum Fenster, ehe er schließlich sagte: »Ich weiß es nicht. Ich glaube, niemand weiß es. Sowohl der Bruder des Königs, Robert, als auch Montgomery haben mich im Vertrauen gefragt, ob ich ihnen irgend etwas über Williams Pläne sagen könnte. Aber was immer es ist, es muß etwas Gewaltiges sein.«
»Du meinst, deswegen hat er euch alle letzte Woche nach Sarum kommen lassen, um ihm einen neuen Eid zu schwören?«
Er nickte. Es donnerte wieder, schon viel näher.
»Wie war es?« fragte sie neugierig.
Cædmon hob kurz die Schultern. »Es war … sehr bewegend. Perfekt inszeniert, wie immer. Ich glaube, auch William selbst war gerührt zu erleben, wie zwei- oder dreihundert Männer vor ihm niederknieten und ihm in tiefster Inbrunst ihre Treue schworen.«
»So viele?« staunte sie.
»Ja. Nicht nur die Kronvasallen waren aufgerufen, den Eid zu leisten, sondern auch die bedeutenderen unter den Aftervasallen.« Er lächelte schwach. »Es
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