Das zweite Zeichen
Toilette war ein kühler,
gefliester Zufluchtsort, wo der Zigarettenqualm aus der Bar kaum hineindrang.
Der Kiefernnadelgeruch eines Reinigungsmittels stieg Rebus in die Nase, als er sich über eines
der Waschbecken beugte. Er steckte sich zwei Finger in den Hals und drückte so lange, bis er
anfing zu würgen und ein halbes Pint Bier ausspuckte, dann noch ein halbes. Er atmete tief durch
und fühlte sich bereits ein wenig besser. Dann wusch er das Gesicht gründlich mit kaltem Wasser
und trocknete es mit einer Hand voll Papiertücher ab.
»Alles klar?« Die Stimme klang nicht wirklich mitfühlend. Der Mann, dem sie gehörte, hatte gerade
die Tür zur Herrentoilette aufgestoßen und suchte eilig nach dem nächsten Pinkelbecken.
»Noch nie besser gefühlt«, sagte Rebus.
»Dann ist's ja gut.«
Gut? Da war er sich nicht so sicher, aber zumindest war sein Kopf etwas klarer und er sah die
Welt nicht mehr so verschwommen. Er glaubte nicht, dass er bei einer Alkoholkontrolle Probleme
kriegen würde, und das war auch gut so, denn sein nächstes Ziel war sein Auto, das in einer
dunklen Seitenstraße parkte. Er wunderte sich immer noch, wie Tony McCall, der nach einem halben
Dutzend Pints ziemlich wacklig auf den Beinen war, es geschafft hatte, mit so ruhiger Hand und so
ruhigem Blick Pool zu spielen. Der Mann war ein Phänomen. Er hatte Rebus sechsmal hintereinander
geschlagen. Und Rebus hatte sich angestrengt.
Zum Schluss hatte er sogar richtig gekämpft. Schließlich machte es sich nicht gut, wenn
ein Mann, der kaum noch gerade stehen konnte, einen Ball nach dem anderen einlochte, alles
abräumte und mit lautem Gebrüll einen Sieg nach dem anderen feierte. Das machte sich nicht gut.
Und es war auch kein gutes Gefühl gewesen.
Es war elf Uhr, vielleicht noch ein bisschen früh. Er erlaubte sich eine Zigarette im parkenden
Auto und lauschte bei heruntergekurbeltem Fenster auf die Geräusche der Welt um ihn herum. Die
unschuldigen Geräusche des späten Abends: Verkehrslärm, laute Stimmen, Gelächter, das Klappern
von Schuhen auf dem Kopfsteinpflaster. Eine Zigarette, mehr nicht. Dann ließ er den Wagen an und
fuhr gemächlich die halbe Meile bis zu seinem Ziel. Der Himmel war immer noch ein wenig hell,
typisch für den Sommer in Edinburgh. Er wusste, dass es weiter nördlich um diese Jahreszeit
niemals richtig dunkel wurde.
Doch die Nacht konnte auf andere Weise dunkel sein.
Den Ersten entdeckte er auf dem Bürgersteig vor dem Gebäude der Scottish Assembly. Es gab keinen
Grund, weshalb dieser Junge dort stehen sollte. Es war eine unwahrscheinliche Uhrzeit, um sich
mit Freunden zu treffen, und die nächste Bushaltestelle war hundert Meter weiter am Waterloo
Place. Der Junge stand einfach da, hatte einen Fuß gegen die Mauer hinter sich gestützt und
rauchte eine Zigarette. Er beobachtete, wie Rebus langsam mit dem Auto vorbeifuhr, beugte sogar
den Kopf ein wenig nach vorn, um hineinsehen zu können, als wolle er den Fahrer begutachten.
Rebus glaubte, ein Lächeln zu erkennen, war sich aber nicht sicher. Nachdem er noch ein Stück
gefahren war, drehte er um und kam zurück. Ein Auto hatte neben dem Jungen angehalten und ein
Gespräch war im Gange. Rebus fuhr weiter. Auf seiner Straßenseite unterhielten sich zwei junge
Männer vor dem Scottish Office. Etwas weiter standen drei Autos vor dem Calton-Friedhof. Rebus
drehte noch eine Runde, dann parkte er in der Nähe dieser Autos und ging zu Fuß weiter.
Die Nacht war klar. Keine Wolken am Himmel. Nur ein leichter Wind wehte. Der Junge vor dem
Assembly-Gebäude war in das Auto gestiegen. Jetzt stand niemand mehr dort. Rebus überquerte die
Straße, stellte sich an die Mauer und wartete, was passieren würde. Beobachtete alles genau. Ein
oder zwei Autos fuhren langsam an ihm vorbei. Die Fahrer drehen den Kopf, um ihn anzustarren,
aber niemand hielt an. Er versuchte, sich die Nummernschilder zu merken, auch wenn er nicht genau
wusste warum.
»Haben Sie Feuer, Mister?«
Er war jung, nicht älter als achtzehn oder neunzehn. Trug Jeans, Turnschuhe, ein ausgeleiertes
T-Shirt und eine Jeansjacke. Die Haare waren extrem kurz, das Gesicht glatt rasiert, aber voller
Aknenarben. Im linken Ohr hatte er zwei goldene Stecker.
»Danke«, sagte er, als Rebus ihm eine Streichholzschachtel hinhielt.
»Was läuft denn so?«, fragte er dann mit belustigtem Blick auf Rebus, bevor er sich die Zigarette
anzündete.
»Nicht viel«, sagte Rebus und steckte die
Weitere Kostenlose Bücher