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Das zweite Zeichen

Titel: Das zweite Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Streichholzschachtel wieder ein. Der junge Mann blies
den Rauch durch seine Nasenlöcher. Er schien nicht so schnell wieder gehen zu wollen. Rebus
fragte sich, ob es irgendwelche Codes gab, die er benutzen sollte. Er merkte, wie er unter seinem
dünnen Hemd feucht wurde, trotz der Gänsehaut.
»Na ja, hier ist aber auch nie viel los. Mögen Sie was trinken?«
»Um diese Uhrzeit? Wo denn?«
Der junge Mann deutete vage mit dem Kopf in eine Richtung. »Auf dem Calton-Friedhof. Da kriegt
man immer was zu trinken.«
»Lieber nicht, aber trotzdem vielen Dank.« Rebus stellte mit Entsetzen fest, dass er rot wurde.
Er hoffte, dass das beim Licht der Straßenlaternen nicht auffallen würde.
»Na schön. Dann bis demnächst mal.« Der junge Mann ging weiter.
»Ja«, sagte Rebus, »bis demnächst.«
»Und danke für das Streichholz.«
Rebus sah ihm hinterher, wie er langsam, aber zielstrebig die Straße entlangging und sich ab und
zu umdrehte, wenn ein Auto auftauchte.
Nach etwa hundert Metern überquerte er die Straße und ging auf der anderen Seite zurück, ohne
auch nur ein einziges Mal zu Rebus zu schauen. Offenbar war er mit den Gedanken ganz woanders.
Rebus kam der Junge traurig vor, einsam; ganz bestimmt war er kein Stricher. Aber auch kein
Opfer.
Rebus starrte auf die solide Mauer des Calton-Friedhofs, die nur an einigen Stellen von
Eisentoren unterbrochen wurde. Er war mal mit seiner Tochter dort gewesen, um ihr die Gräber der
Berühmtheiten zu zeigen ­ David Hume, der Verleger Constable, der Maler David Allan ­ und die
Statue von Abraham Lincoln. Sie hatte ihn nach den Männern gefragt, die raschen Schrittes und mit
gesenktem Kopf den Friedhof verließen. Ein älterer Mann, zwei Teenager. Rebus hatte sich auch
über sie gewundert. Aber nicht allzu sehr.
Nein, er konnte es nicht. Konnte nicht dort hineingehen. Nicht dass er Angst gehabt hätte, nein
das war es nicht, nicht eine Minute lang. Er war bloß... er wusste nicht was. Doch ihm wurde
wieder schwindlig, und er fühlte sich wacklig auf den Beinen. Ich muss zum Auto zurück, dachte
er.
Er ging zurück zum Auto.
Er saß bereits eine Zeit lang auf dem Fahrersitz und rauchte nachdenklich die zweite Zigarette,
da bemerkte er aus den Augenwinkeln eine Gestalt. Er drehte sich um und schaute zu der Stelle, an
der der Junge saß; nein ­ nicht saß, sondern vor einer niedrigen Mauer hockte. Rebus wandte sich
ab und rauchte weiter. Erst in dem Moment stand der Junge auf und ging auf das Auto zu. Er
klopfte an das Beifahrerfenster. Rebus atmete tief durch, bevor er die Tür entriegelte.
Ohne ein Wort zu sagen stieg der Junge ein und warf die Tür fest hinter sich zu. Dann saß er
schweigend da und starrte durch die Windschutzscheibe. Rebus, dem nichts Vernünftiges einfiel,
was er hätte sagen können, schwieg ebenfalls. Der Junge hielt es als Erster nicht mehr aus.
»Hiya.«
Es war die Stimme eines Mannes. Rebus wandte sich zur Seite, um den Jungen zu betrachten. Er war
vielleicht sechzehn, trug eine Lederjacke und ein offenes Hemd. Zerrissene Jeans.
»Hallo«, antwortete er.
»Haste 'ne Zigarette?«
Rebus reichte ihm das Päckchen. Der Junge nahm sich eine und tauschte das Päckchen dann gegen die
Streichholzschachtel. Er inhalierte kräftig, behielt den Rauch lange unten und gab kaum etwas
davon wieder an die Atmosphäre ab. Nehmen ohne zu geben, dachte Rebus. Das Kredo der
Straße.
»Und, was hast du denn heute Abend vor?« Die Frage hatte auch Rebus auf den Lippen gelegen, doch
der Junge hatte sie ausgesprochen.
»Nur ein bisschen Zeit totschlagen«, sagte Rebus. »Ich konnte nicht schlafen.«
Der Junge lachte hämisch. »So, du konntest nicht schlafen, also bist du ein bisschen rumgefahren.
Dann hattest du keine Lust mehr zu fahren und hast ganz zufällig hier angehalten. Ausgerechnet in
dieser Straße. Um diese Uhrzeit. Dann bist du spazieren gegangen, hast dir die Beine vertreten
und bist zurück zum Auto gekommen, stimmt's?«
»Du hast mich also beobachtet«, sagte Rebus.
»Ich brauchte dich nicht zu beobachten. Das hab ich alles schon gesehen.«
»Wie oft?«
»Oft genug, James.«
Die Worte waren hart, die Stimme war hart. Rebus hatte keinen Grund zu glauben, dass ihm der
junge Mann etwas vormachte. Zwischen diesem und dem anderen Jungen war ein Unterschied wie Tag
und Nacht.
»Mein Name ist nicht James«, sagte er.
»Natürlich ist er das. Hier heißt jeder James. Da kann man sich den Namen leichter merken, selbst
wenn man sich

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