Das zweite Zeichen
H-y-d-e.«
»Was ist mit Hyde?«
»Weiß ich nicht. Wie gesagt, es ist bloß ein Name.«
Rebus umklammerte das Lenkrad. Hyde? Hyde? War es das, was Ronnie Tracy hatte sagen
wollen? Nicht bloß, dass sie sich verstecken sollte, sondern dass sie sich vor einem Mann namens
Hyde verstecken sollte? Während er seine Gedanken zu ordnen versuchte, stellte er fest, dass er
schon wieder auf den Jaguar starrte. Oder vielmehr auf das Profil des Mannes auf dem Fahrersitz.
Der hatte seine Hand um den Hals eines viel jüngeren Mannes auf dem Beifahrersitz gelegt und
streichelte ihn, während er dabei die ganze Zeit leise auf ihn einredete. Streicheln und reden,
alles ganz unschuldig.
So war es eigentlich erstaunlich, dass James Carew von der Immobilienfirma Bowyer Carew dermaßen
erschrak, als er merkte, dass er angestarrt wurde und sich Detective Inspector John Rebus
gegenüber sah, als er zurückstarrte.
Rebus beobachtete das alles, während Carew mit dem Zündschlüssel herumfummelte, den neuen
V12-Motor aufheulen ließ und rückwärts vom Parkplatz schoss, als wäre der Teufel persönlich
hinter ihm her.
»Der hat's aber eilig«, sagte James.
»Hast du ihn schon mal gesehen?«
»Hab sein Gesicht nicht richtig erkennen können. Den Wagen hab ich jedenfalls noch nie
gesehen.«
»Ist ja auch ziemlich neu, was?«, sagte Rebus und startete müde sein eigenes Auto.
In der Wohnung roch es immer noch nach Tracy. Ihr Geruch hing im Wohnzimmer und im Bad. Er sah
sie vor sich, wie sie dort drüben saß, die Beine unter sich geschlagen, und ihr das Handtuch vom
Kopf rutschte... Wie sie ihm das Frühstück brachte; das schmutzige Geschirr stand noch neben
seinem ungemachten Bett. Sie hatte gelacht, als sie sah, dass er auf einer Matratze auf dem
Fußboden schlief. »Wie bei den Pennern«, hatte sie gesagt. Die Wohnung schien jetzt leerer, so
leer wie sie ihm schon eine ganze Weile nicht mehr vorgekommen war.
Außerdem hatte Rebus das Bedürfnis zu baden. Er kehrte ins Badezimmer zurück und drehte das warme
Wasser auf. Er konnte immer noch James' Hand auf seinem Bein spüren... Im Wohnzimmer starrte er
eine volle Minute auf eine Flasche Whisky, doch dann kehrte er ihr den Rücken und nahm
stattdessen ein leichtes Lager-Bier aus dem Kühlschrank.
Die Badewanne füllte sich nur langsam. Eine archimedische Schraube wäre wirkungsvoller gewesen.
Doch das gab ihm genügend Zeit, um noch einmal auf der Wache anzurufen und zu fragen, wie sie mit
Tracy zurechtkamen. Was er erfuhr, klang nicht gut. Sie wurde allmählich immer gereizter,
weigerte sich zu essen und klagte über Seitenstiche.
Blinddarmentzündung? Wohl eher Entzugserscheinungen. Er hatte ein ziemlich schlechtes Gewissen,
dass er noch nicht bei ihr gewesen war.
Doch auf ein paar Schuldgefühle mehr oder weniger kam es nicht an, also beschloss er, den Besuch
bis morgen aufzuschieben. Nur für ein paar Stunden wollte er fort von allem sein, von all dem
erbärmlichen Herumwühlen in anderer Leute Leben. Seine Wohnung kam ihm nicht mehr so sicher vor,
war für ihn nicht mehr die Burg, die sie noch vor ein oder zwei Tagen gewesen war. Und zu der
äußeren Verletztheit kam auch noch eine innere. Er fühlte sich bis in sein tiefstes Inneres
beschmutzt, als ob die Stadt eine ihrer Dreckschichten abgelegt und ihm das Zeug per
Zwangsernährung eingeflößt hätte.
Zum Teufel damit.
Er war also erwischt worden. Er lebte in der schönsten und zivilisiertesten Stadt Nordeuropas,
und trotzdem musste er sich jeden Tag mit ihrer Schattenseite auseinander setzen, mit den
Niederungen ihres Animus. Animus? Das war ein Wort, das er schon lange nicht mehr benutzt
hatte. Er wusste nicht mal mehr, was es genau bedeutete; aber es klang genau richtig. Er nahm
einen Schluck Bier aus der Flasche und behielt den Schaum im Mund wie ein Kind, das mit der
Zahnpasta spielt.
Diese Zeug war nur Schaum. Keine Substanz.
Alles Schaum. Das brachte ihn auf eine weitere Idee. Er würde etwas Badezusatz ins Wasser tun.
Schaumbad. Wer zum Teufel hatte ihm das Zeug geschenkt? Ach ja. Gill Templer. Jetzt erinnerte er
sich. Erinnerte sich auch an den Anlass. Sie hatte ihn ausgeschimpft, wenn auch ganz freundlich,
weil er nie die Badewanne sauber machte. Dann hatte sie ihm das Schaumbad überreicht.
»Das reinigt dich und deine Badewanne«, hatte sie von der Flasche vorgelesen. »Und gibt
dem Baden neuen Spaß.«
Er hatte vorgeschlagen, dass sie diese Behauptung gemeinsam überprüfen
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