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Daughter of Smoke and Bone

Daughter of Smoke and Bone

Titel: Daughter of Smoke and Bone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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Gedanken rasten, drehten sich, wirbelten chaotischer als das Getümmel um sie herum. Sie konnte nicht denken. Was sollte sie sagen? Was sollte sie
tun
?
    Später wurde ihr schlagartig klar, dass sie keine Sekunde in Erwägung gezogen hatte, das zu tun, was jeder andere in der Stadt getan hätte, ohne zu zögern – ihm die Maske herunterzureißen und zu schreien: »Seraphim!«
    Mit einem Ruck atmete sie ein und sagte: »Du bist verrückt! Warum bist du gekommen?«
    »Das habe ich dir doch schon gesagt – um dir zu danken.«
    Ein schrecklicher Gedanke schoss ihr durch den Kopf. »Planst du etwa ein Attentat? Du wirst nicht in die Nähe des Kriegsherrn kommen.«
    Ernst erwiderte er: »Nein. Ich könnte niemals das Geschenk, das du mir gemacht hast, mit dem Blut deines Volkes beschmutzen.«
    Die Agora war ein riesiges Oval, groß genug, dass sich darauf eine Armee versammeln konnte, mehrere Schlachtreihen nebeneinander, aber heute Abend waren keine Truppen da, nur Tänzer, die sich nun in den komplizierten Mustern eines Tiefland-Reigens bewegten. Der Strom, der aus der Serpentine quoll, verteilte sich strudelnd über die Ränder des Platzes, wo die Körperdichte am größten war. Zwischen den mit Essen beladenen Tischen standen Fässer mit Graswein, und überall fanden sich kleine Gruppen zusammen, die – ihre Kinder auf den Schultern – plauderten, lachten und sangen.
    Madrigal und der Engel steckten noch im wirbelnden Delta der Serpentine. Er war ihr Anker, beständig wie ein Wellenbrecher. Madrigal hatte sich noch nicht von dem Schock erholt und machte keine Anstalten, sich von ihm zu trennen.
    »Geschenk?«, wiederholte sie ungläubig. »Aber du setzt dieses Geschenk leichtfertig aufs Spiel, wenn du
hierherkommst
, in den sicheren Tod.«
    »Ich werde nicht sterben«, entgegnete er. »Nicht heute. Tausend Dinge hätten mich hindern können, in diesem Augenblick hier zu sein, aber stattdessen haben mich tausend Dinge hergebracht. Alles hat sich einfach gefügt, ganz leicht, als wäre es vorbestimmt …«
    »Vorbestimmt?«, staunte Madrigal, drehte sich zu ihm um und wurde in dem Gedränge an seine Brust geworfen, als würden sie immer noch tanzen. Sie kämpfte um Raum. »Was soll vorbestimmt sein?«
    »Du«, antwortete er. »Und ich.«
    Wieder war sie sprachlos. Er und sie? Seraph und Chimäre? Das war absurd. Ihr fehlten die Worte, und sie stammelte: »Du bist wahnsinnig.«
    »Aber es ist auch dein Wahnsinn. Du hast mir das Leben gerettet. Warum hast du das getan?«
    Darauf hatte Madrigal keine Antwort. Seit zwei Jahren suchte die Erinnerung sie heim, das Gefühl, wie sie ihn gefunden hatte, sterbend, das Gefühl, dass es aus irgendeinem Grund ihre Aufgabe war, ihn zu beschützen. Ihre Pflicht. Und nun war er hier. Lebendig. Hier bei ihr. Wie war das möglich? Sie kämpfte noch immer mit der Fassungslosigkeit darüber, dass er es
wirklich
war. Sein Gesicht – sie erinnerte sich an jede Nuance – hinter einer Maske versteckt.
    »Und es wäre gut möglich gewesen«, sagte er, »dass ich dich heute Abend, wo sich eine Million Seelen in der Stadt aufhalten, gar nicht gefunden hätte. Ich hätte die ganze Nacht suchen und nicht mal einen flüchtigen Blick auf dich werfen können, aber stattdessen warst du auf einmal da, als hätte jemand dich vor mich gestellt, und du warst allein, hast dich durch die Menge bewegt und warst doch von ihr getrennt, als hättest du nur auf mich gewartet …«
    Er sprach weiter, aber Madrigal hörte ihn nicht mehr. Durch den Schock hatte sie es ganz vergessen, aber als der Engel ihre Isolation erwähnte, wurde ihr schlagartig wieder bewusst, warum sie so allein gewesen war. Thiago. Sie blickte zum Palast, hinauf zum Balkon des Kriegsherrn. Aus dieser Entfernung waren die Gestalten dort nur Silhouetten, aber Silhouetten, die sie erkannte: der Kriegsherr, die schwere Form von Brimstone und ein paar geweihtragende Frauen des Herrschers. Thiago war nirgends zu sehen.
    Was nur bedeuten konnte, dass er hier unten in der Menge war. Ein Angstschauer durchfuhr Madrigal, von den Hufen bis in die Hörner. »Du verstehst nicht«, sagte sie und drehte eine Pirouette, um die Menge zu überblicken. »Es hatte einen Grund, warum niemand mit mir getanzt hat. Ich dachte, du wärst besonders mutig. Woher hätte ich auch wissen sollen, dass du verrückt bist …?«
    »Was für einen Grund denn?«, fragte der Engel, noch immer ganz nah bei ihr. Viel zu nahe.
    »Vertrau mir«, sagte sie, dringlich.

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