Dave Duncan
ließ sie unausgesprochen. Seit Wochen umwarb der riesige junge Djinn Inosolan so gut er konnte, aber für einen zarkianischen Mann konnte es unmännlich wirken, Zeit in Begleitung einer Frau zu verbringen, und besonders, wenn es sich um seine angebliche Frau handelte. Daher war Azaks Werbung ernsthaft behindert gewesen. Jetzt würde er Inosolan ganz für sich haben, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, ohne Unterbrechung. Sicher, er würde immer noch durch seine Unfähigkeit, sie zu berühren, eingeschränkt sein – was war dieser Fluch doch für ein Segen! –, aber sie würde seine ungeteilte Aufmerksamkeit haben.
Inos hatte ihn ganz gut behandelt. Sie hatte ihn weder zurückgewiesen noch ermutigt. Sie war taktvoll und freundlich gewesen, hatte nichts versprochen und sich auf nichts eingelassen. Ihr sicheres Auftreten, das sie in Kinvale so gut gelernt hatte, war ihr bislang gut zustatten gekommen. Aber sie war sehr jung; sie war ohne Heimat und ohne Freunde, und sie brauchte dringend Hilfe. Allein mit Azak, einen Monat oder länger, konnte da selbst Inos seiner Logik noch widerstehen, seiner Hartnäckigkeit, seinem unbestreitbaren Charme?
Kadolan war keine Spielerin, aber eine riskante Wette erkannte sie auf den ersten Blick.
5
Der Tag graute und brach durch einen für die Wüste ganz unüblichen Nebel. Es konnte auch eine Wolke sein, denn zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Reisenden bereits hoch in den Bergen.
Die Abreise aus Tall Cranes war eine sehr lehrreiche Prozedur gewesen. Inos hatte voller Faszination gelauscht, wie Azak sowohl das kleine Dorf als auch die Karawane in äußerste Verwirrung gestürzt hatte. Obwohl die sichtbaren Einzelheiten durch die Dunkelheit verdeckt worden waren, hatte sie doch schon aus den Geräuschen ihre Schlüsse ziehen können.
Der berühmte Kodex der Löwentöter hatte sich als wesentlich weniger verläßlich herausgestellt als das Sprichwort, das besagte, man solle keinem Djinn trauen. Gold und Versprechungen hatten Wunder gewirkt. Zwar hatte sie die genauen Worte des Verrates nicht gehört, doch Inos konnte sich gut vorstellen, daß Prinzen, die im Exil waren, sich gerne dem Angebot, zukünftigen königlichen Status am Hof von Arakkaran zu bekommen, beugten – obschon sie keinen Grund hatten, Azaks Versprechungen mehr zu vertrauen als ihren eigenen Schwüren. Wie er es auch machte, Azak setzte sich durch, und Elkarath war verraten.
Falls die Dorfbewohner eigene Wachtposten aufgestellt hatten, so würden die Löwentöter sich um sie kümmern – Inos wollte es lieber nicht so genau wissen – aber vermutlich hatten die Füchse keine Gefahr von den Hühnern erwartet. Die meisten Männer waren sowieso nicht da. Die Kamele waren losgebunden, von ihren Glocken befreit und aus ihren Koppeln herausgelassen worden. Bei Sonnenaufgang konnten sie überall sein. Der Rest des Viehs – Maultiere, Rinder, Pferde, sogar Geflügel
– war ebenfalls in die Nacht hinausgejagt worden. Einige hatten eine Zeitlang versucht, den Flüchtenden zu folgen, es dann aber schließlich aufgegeben. Die Löwentöter hatten ihre Familien zusammengeholt und waren mit ihnen nach Süden, nach Ullacarn, davongefahren. Wenn der alte Scheich erwachte, würde er viel zu tun haben – von der Außenwelt abgeschnitten und schutzlos mitten in einer sehr feindlichen Bevölkerung. Für eine ganze Weile würde niemand irgend jemanden verfolgen.
In den Bergen waren Maultiere besser als Kamele, hatte Azak gesagt, daher begrüßte Inos den Morgen auf dem Rücken eines Maultieres. Es war kein sanfter Ritt, aber die zähen kleinen Biester waren Stunde um Stunde geklettert, ohne sich zu beklagen. Inzwischen lag Tall Cranes schon weit hinter und tief unter ihnen.
Der Wind der Nacht war abgeflaut, oder blies nur noch im Tal und der Maultierzug befand sich oberhalb davon. Ein Leuchten erfüllte die Luft, und zum ersten Mal seit Wochen konnte Inos Feuchtigkeit riechen. Köstlich! Die kleinen Hufe der Maultiere trappelten auf einer weichen Steinoberfläche.
»Eine Straße?« fragte Inos.
Azak und sein Maultier ragten schemenhaft groß und dunkel an ihrer Seite auf, so verschwommen, daß sie nicht greifbar wirkten. Sein rotbärtiges Lächeln war jetzt zu sehen, aber sie hatte es schon einige Zeit in seiner Stimme gehört.
»Gewiß die Straße zur Stadt. Wir folgen ihr seit einer Stunde. Sie kommt und geht. Seht Ihr?« Das Pflaster verschwand unter einer Schicht Sand.
Inos drehte sich um und versicherte sich,
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