Dave Duncan
Angestellter des Verwalters… jetzt noch nicht einmal das, nur ein Vagabund mit einem Gespür für Pferde und einer Handvoll Fähigkeiten als Seemann. In jener verrückten Nacht, als ihr Vater gestorben war, hatte sich Inos ihrem Freund aus Kindertagen gegenüber höflich und zuvorkommend verhalten, so wie sie es immer tun würde. Sie hatte ihm für seine Hilfe gedankt. Sie hatte sich vor seinen okkulten Fähigkeiten nicht zurückgezogen, weil sie eine gebildete, wohlerzogene Dame war, nicht wie einer der ignoranten, abergläubischen Bauern von Krasnegar.
Falls er sie wie durch ein Wunder finden sollte, würde sie sicherlich bereits in eine adlige Familie eingeheiratet haben. Die Wächter hatten sie vielleicht gerade auf den Thron ihrer Väter gesetzt, mit einem Gatten als Kompromiß, der sowohl für die Thans als auch für den Imperator annehmbar war… nicht, den Göttern sei Dank, mit Little Chicken!
Niemals aber mit Rap.
Der Mann in ihrem Zelt war ein Schwertkämpfer gewesen, sicherlich ein Aristokrat. Ein großer, gutaussehender Bursche.
Also mußte Rap seine Suche fortführen, und wenn es ein Leben lang dauerte. Sie würde ihn in ihren Haushalt aufnehmen und vielleicht zum Stallmeister machen, wie sie zusammen gescherzt hatten, als sie noch Kinder waren. Sie brauchte niemals zu erfahren, was er für sie empfand. Er würde ihr als loyaler Untertan dienen und sie von ferne anbeten.
Wenn seine Gefühle nur eine jugendliche Schwärmerei waren, würde er mit der Zeit darüber hinwegkommen.
Doch konnte eine jugendliche Schwärmerei so weh tun?
Jetzt wußte er, warum das Elbenmädchen ihm nicht ihr Wort der Macht verraten hatte – ihren Namen, oder vielleicht den Namen ihres ursprünglichen Vormunds, wenn dies wirklich das Wort der Macht war. Sie hatte es Little Chicken verraten, weil der seinen größten Lebenswunsch wirklich kannte, und weil er ihn so sehr wollte, daß er dafür zu sterben bereit war. Rap hatte nicht gesagt, daß er Inos liebte, nur, daß er sie finden und ihr loyaler Untertan sein wollte. Nicht die ganze Wahrheit! Hätte er die Wahrheit gewußt und sie ausgesprochen, dann wäre er jetzt ein Geweihter mit zwei Worten. Und das Elbenkind wäre in seinen Armen gestorben, nicht in denen des Kobolds.
Was geschah, wenn Kalkor Inos zuerst fand?
Oder seine Meinung änderte und Rap kurzerhand ermordete? Er nahm die Prophezeiung offensichtlich ernst.
Oder sich entschloß, das Wort aus Rap herauszufoltern, um selbst zum Geweihten zu werden?
Am besten nicht darüber nachdenken.
Nein, irgendwie mußte Rap den Fängen des Thans entkommen. Er war den Kobolden entkommen, oder? Und den Imps, und einem Hexenmeister.
Wie klar war jetzt der Rat, den König Holindarn ihm gegeben hatte, und selbst Andor – daß okkulte Kräfte um jeden Preis geheimgehalten werden mußten. Zu spät! Ein Jotunnräuber würde niemals freiwillig einen Seher gehen lassen. Noch bevor sie Land sichteten, würde sich Rap in Ketten oder absichtlich verstümmelt wiederfinden, damit er weder laufen noch schwimmen konnte.
»Rap?«
Das Flüstern riß ihn aus seinen Grübeleien, und er sprang auf, um in ein leuchtend rotes Gesicht zu blicken. Einen Augenblick lang ließ die Röte an extreme, komische Verlegenheit denken, doch dann sah Rap, daß es nur ein schlimmer Fall von tropischem Sonnenbrand war. Jalon hatte inzwischen ein Hemd gefunden, das ihm ein wenig Schutz bot, aber er litt sichtlich. Unter seinen Schmerzen war er mitleiderregend verwirrt und verängstigt. Mit einer Hand umklammerte er immer noch die frivol verzierte Harfe und mit der anderen hielt er seine viel zu großen Hosen hoch.
Jalon hatte einmal zugegeben, Elfenblut in sich zu haben. Als Rap ihn jetzt neben so vielen reinen Jotnar sah, glaubte er, einen goldenen Stich auf Jalons Haut zu erkennen und eine leichte Schrägstellung der Augen. Und natürlich fehlte es ihm an Größe und Muskeln. Es wäre allerdings unfreundlich gewesen, darüber eine Bemerkung zu machen.
»Nehmt einen Stuhl«, sagte Rap traurig. »Wein? Bonbons?« »Nein!« sagte der Spielmann und kauerte sich zusammen. »Verspottet mich nicht, Rap! Götter, Mann, Ihr seid aber gewachsen!«
»Bin ich das?«
»Ihr wißt, wir haben uns erst vor zwei Tagen kennengelernt. Für mich zumindest.«
»Ihr teilt doch die Erinnerungen, oder?« Rap dachte an Thinal und Sagorn und Darad, und all das war in dem Jahr passiert, das seit dem Picknick vergangen war… es war schon länger
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