Dave Duncan
Vater starb mit fünfzehn durch die Hände des lynchenden Mobs, nachdem er bereits die Frau irgendeines anderen Mannes geschwängert hatte. Das ist natürlich nur ein Gerücht. Menschen, die zu einem Viertel Merfolkblut haben, sind sehr selten! Vielleicht hat auch sein bemerkenswerter Erfolg bei den Frauen diese Legende begründet.«
Eigaze machte sich bemerkbar. »Ts, ts! Vater, ich glaube nicht, daß du über solch einen Skandal sprechen solltest.«
»Vielleicht nicht. Aber falls es stimmt, hat Ythbane nur einen Teil vom Fluch der Merfolk mitbekommen – er kann Frauen verzaubern, aber die Männer reagieren nicht negativ auf ihn. Und er ist zweifellos begabt. Emshandar hat immer gewöhnliche Menschen als Vertraute bevorzugt, weil die großen Familien ständig in Fehde liegen und dadurch die Loyalität der Aristokratie erschweren. Er hat Ythbanes Talente früh entdeckt und sie gut genutzt. Der Senat war entsetzt, als er den Mann zum Konsul machte – es hat Emshandar immer Spaß bereitet, drastische Veränderungen unter uns Senatoren vorzunehmen. Doch als das Fieber Emthoro dahinraffte, machte sich Ythbane an dessen Witwe heran.«
»Vater!«
»Es stimmt doch, Liebes. Orosea war glücklich verheiratet, Uomaya war die Mutter des Erben. Ythbane wußte, was er tat. Er ist schlau. Er ist ein fähiger Politiker. Wer könnte ein besserer Regent und Vormund des Prinzen sein als der Ehemann der Mutter? Natürlich hatte man nicht erwartet, daß der Imperator noch so lange leben würde…« Der Senator leitete elegant zu einem anderen Thema über. »Und die heutigen Ereignisse… vielleicht hat er vor, die Gladiatorenkämpfe wieder einzuführen. Das wäre ein sehr schlauer Schachzug!« Er sah zu Azak auf. »Ihr wißt, wie unbeliebt Regenten stets sind?«
»So etwas haben wir nicht, aber ich nehme an, es mangelt ihnen an der göttlichen Autorität des Blutes?«
»Richtig. Außerdem müssen Regierungen häufig unpopuläre Entscheidungen treffen, und ein neuer Regent gibt stets der vorherigen Regierung die Schuld. Ythbane befindet sich also in einer schwierigen Lage. Er muß für Emshandar regieren, bis dieser stirbt – das kann nicht mehr lange dauern –, und anschließend, falls er sich nicht schon allzu viel Haß zugezogen hat, kann er hoffen, Regent für den Prinzen zu werden, bis dieser volljährig ist. Nach historischen Präzedenzfällen zu urteilen, wird der junge Imperator dann seinen früheren Vormund verstoßen und sich gegen ihn wenden. Die Geschichtsbücher sind voll von solchen Fällen.«
Er lachte leise. »Seid also nicht zu hart zu dem Mann! Eine Regentschaft ist eine undankbare und gefährliche Aufgabe.«
»Was mir nicht gefällt«, sagte Eigaze plötzlich, »ist, wie er den alten Mann zu jeder Zeremonie herbeizerrt und ihn ausstellt wie eine ausgestopfte Leiche!«
Ihr Vater zwinkerte erstaunt mit den Augen. »Wer führt hier jetzt gefährliche Reden?«
»Nun, es stimmt doch! Und dieser arme kleine Prinz!«
»Vorsichtig! Ein Prinz muß schon frühzeitig zu lernen anfangen. Er wird in… wieviel… acht Jahren schon die Nachfolge antreten? Und die Gegenwart des Imperators verleiht Autorität. Wiederhole diese Worte nicht vor anderen, Eigaze!«
Seine Tochter errötete und sah aus dem Fenster. Inos erhaschte Azaks Blick, doch der war unergründlich. Epoxague war offensichtlich ein Anhänger von Ythbane, diese Art von unheimlichem Politiker, der immer auf der Gewinnerseite zu finden war.
Doch das ging Inos gar nichts an. Sollte die Petition an die Vier arrangiert werden, würde sie sich schon in wenigen Tagen vermutlich wieder in Arakkaran befinden, richtig verheiratet mit dem Sultan und rechtmäßige Ex-Königin von Krasnegar.
Rap wäre dann immer noch tot. Keiner der Wächter oder Götter könnte das rückgängig machen.
Sie blickte aus dem Fenster.
2
Noch nie zuvor hatte Inos wirklich große Menschenmengen erlebt, und sie fand es beängstigend. Eine halbe Wegstunde vom Campus entfernt blieb die Kutsche völlig stecken. Der Senator und seine Gäste waren gezwungen, zu Fuß weiterzugehen, und die Prätorianerhusare bemühten sich, ihnen den Weg frei zu machen. Die Menge war in brutaler Stimmung, denn die meisten würden das Spektakel nicht zu sehen bekommen. Überall sah man die Federhelme der Legionäre, doch selbst sie konnten das hin-und herwogende Meer von Menschen nicht bändigen, denn es war so massiv wie Packeis. Inos war bewußt, daß eines der Pferde ihrer Wachen jeden Augenblick
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