David Roth und andere Mysterien
eine Schneise der Verwüstung zu hinterlassen.
Ohne Begrüßung und Abschied ging Erik zu den anderen ins Haus, und ich machte mich mit aktiviertem Navigationssystem auf den Rückweg. Überraschend schnell hatte ich mich an den Verkehr auf der falschen Straßenseite gewöhnt und kam unbeschadet in Waverton an. Die Stille im Haus war wunderbar. Ich sog tief die kühlere Luft ein und war froh, allein zu sein.
Zumindest menschlich gesehen: Kaja trottete auf mich zu. Ich ging lächelnd und finnische Koseworte murmelnd in die Hocke, um mit der Hand über ihren warmen Rücken zu streicheln. Sie begann zu schnurren und sich meinen Fingern entgegenzurecken.
Nach einer kleinen Weile hatte sie genug und lief zu ihrem halb vollen Fressnapf, um zu essen. Ich füllte Wasser in Kajas zweiten Napf. Hinterher ging ich zur Fotowand und betrachtete sie erstmals eingehend. Zahllose Gesichter. Die meisten kannte ich, und genau diese sah man besonders oft. Glückliche Menschen in allerlei Situationen: am Strand, mit nassem Haar; bei einem Barbecue – vermutlich einem typischen Aussie Barbie – in einem großen Garten; in Clubs, Bars und Restaurants; in Parks und an anderen sonnenverwöhnten Plätzen Sydneys.
Andere, für mich eher außergewöhnliche Bilder, stachen mir deutlicher ins Auge. Die Freunde auf einem Rummel, von Verkaufsständen umgeben, im Hintergrund ein Riesenrad und ein leuchtendes Schild: Luna Park . Ein zweites Foto auf demselben Rummel zeigte Linda und David: Beide bissen leidenschaftlich in pinke und blaue Zuckerwatte, was ich noch nie gegessen oder leibhaftig gesehen hatte.
Auf einem anderen Bild stand die riesige Freundesgruppe am Strand – ich glaubte, dass es sich um Bondi Beach handelte, war mir allerdings nicht vollkommen sicher – und trotzte in Bikinis und Shorts einem heftigen Sturm, der den Regen waagerecht auf ihre braun gebrannten Körper prallen ließ. Am Rand verschwamm das Bild, die Regentropfen hatten das Glas nass geküsst. Alle strahlten vor Glück.
Zwei letzte Bilder bremsten meine visuelle Wanderung.
Das erste war während eines atemberaubenden Sonnenuntergangs im australischen Outback aufgenommen worden, das sich im Hintergrund scheinbar grenzenlos ausdehnte – rötliches Gestein, flache Ebenen und kleine Felsformationen gleichermaßen, soweit das Auge reichte. Die Freunde saßen mit dem Rücken zu diesem Naturschauspiel rings um ein Lagerfeuer herum, auf dem sie in Töpfen und auf Gittern irgendetwas kochten und brieten. Einige trugen nach wie vor pralle Rucksäcke und mit Messern und anderen Werkzeugen behangene Gürtel. Im rechten Hintergrund erkannte ich den schwarzen Zipfel eines bereits aufgebauten Zeltes. Das Bild war meisterhaft eingefangen worden.
Es war das zweite Bild, das mich unwillkürlich – und ungläubig – nach Luft schnappen ließ. Darauf war nichts als Davids Gesicht, sein Hals und die obere Hälfte seiner breiten Schultern zu sehen. Er trug das Haar zusammengebunden, es glänzte goldgleich in der Sonne. Auf seinen Wangen tummelte sich eine erträgliche Schar orangefarbener bis hellbrauner Sommersprossen, und ich fragte mich erstaunt, wie ich es geschafft hatte, diese Besonderheit nicht zu entdecken.
Ich musste blind gewesen sein. Andererseits hatte ich keine Gründe, ihn anzuschauen, und so wie auf dem Foto würde er mich garantiert niemals anschauen. Er strahlte überglücklich, seine Augen sprühten überschwängliche Funken in die Kamera, und die Lebensfreude schoss aus jeder Pore in seinem überraschend hellhäutigen Gesicht.
An einigen Fotos klebten kleine Zettelschnipsel, die über das Datum aufklärten. Über Davids Bild, zum Beispiel. Es war im Dezember letzten Jahres aufgenommen worden – vor weniger als einem Monat.
An dieser Fröhlichkeit hatte sich bis heute nichts verändert. Bei genauerem Hinsehen konnte ich Schalk und Herausforderung in seinen lachenden Augen sehen. Offenbar war dies alles ein ständiger Teil von ihm.
Es überraschte mich ungeachtet dessen, ihn offen strahlen zu sehen. Mir persönlich wäre es extrem unangenehm gewesen zu wissen, dass irgendwo ein solches Foto von mir existierte. Eines, auf dem ich alles losließ, mich der Freude hingab und ich selbst war. Dergleichen konnte ich mir für mich nicht vorstellen.
Bobby kam wenige Minuten später. Ich stand weiterhin vor der Fotowand und starrte jene Menschen an, die in Lindas Leben wichtig waren.
Bobby hatte sich das Hemd aufgeknöpft. Kein Wunder, bei dieser dampfenden Hitze,
Weitere Kostenlose Bücher