David Trevellyan 01 - Ohne Reue
zuversichtlich, diesen Punkt bald abgehakt zu haben. Und wenn wir schnell genug waren, konnten wir den Nachmittag in einem netten Pub am Meer verbringen.
Zehn Minuten nachdem wir aus dem Bus ausgestiegen waren, wurden wir alle wieder von der Straße geholt. Man warf uns in den Laderaum eines Lieferwagens, zog uns grob einen Sack über den Kopf und fuhr uns zu einem verlassenen Schlachthof. Was dann folgte, war nicht schön. Aber es lehrte uns zwei Dinge. Wie man den Mund hält, zumindest für eine Weile. Und dass die Dinge selten so sind, wie sie scheinen.
Den ersten Teil habe ich nie vergessen.
Beim zweiten hätte ich besser aufpassen sollen.
Die Limousine des Konsulats setzte Lucinda und mich pünktlich um 19 : 30 Uhr vor dem Rhythm & Booze am Broadway ab. Wir mischten uns unter die wenigen frühen Gäste, die sich vor der Tür der Bar versammelt hatten, bis der Wagen außer Sichtweite war. Dann machten wir uns auf den Weg zum Treffpunkt, umkreisten das Gebiet und hielten Ausschau nach Leuten, die das Lokal aus einem Auto, Gebäude oder zu Fuß beobachten könnten. Lucinda hielt mich für paranoid, weil wir so lange brauchten, aber ich bestand darauf. Schließlich war ich derjenige, der sich am nächsten Morgen vor Lavine verantworten musste.
Das Bulldog erwies sich als ein typischer Pub – ein quadratischer, charakterloser Allzweckraum, dessen Einrichtung versuchte, ihn als etwas darzustellen, was er nicht war. Der Fußboden war mit falschen Yorkshire-Fliesen gekachelt, an der Rückwand stand eine rechteckige Bar aus Mahagoni und Messing, links davon befanden sich ein Billardtisch und einarmige Banditen und rechts vier enge Sitznischen. Wir überprüften, ob sich dort oder in den Waschräumen jemand herumdrückte, und um acht Uhr saßen wir neben der zugigen Eingangstür auf harten Holzstühlen. Auf dem runden Tisch vor uns standen ein Newcastle Brown für mich und ein Gin Tonic für Lucinda.
Innerhalb der nächsten Stunde betraten dreiundzwanzig Personen den Pub. Siebzehn davon waren Männer. Neun von ihnen waren allein. Fünf im richtigen Alter. Doch keiner sah auch nur annähernd so aus wie der Mansell auf dem Foto, das in Lucindas Handtasche steckte.
Tanya erschien eine Minute vor neun Uhr. Einen Moment lang blieb sie allein neben der Tür stehen, als ob sie die überdimensionalen Fotos von London aus der Kriegszeit beeindruckten, mit denen die Wände gepflastert waren. Dann ging sie zur Bar, setzte sich auf den mittleren der drei noch freien Stühle und bestellte etwas zu trinken.
» Sie sieht anders aus, nicht wahr?«, sagte Lucinda.
» Ein wenig vielleicht«, antwortete ich.
In Wirklichkeit sah sie völlig anders aus. Es lag nicht nur an der Jeans und der legeren Bluse oder dem offenen Haar. Es war ihre ganze Art. Sie wirkte angespannt und nervös wie jemand auf Speed. Das entsprach so ganz und gar nicht ihrem sonstigen Wesen. Es zeigte mir, wie sehr es sie belastete, die Geister von Marokko auszutreiben. Ich konnte nur hoffen, dass Mansell tatsächlich auftauchte. Und dass ihre Nervosität ihn nicht abschrecken würde, wenn er kam.
» Wer ist denn der Kerl, den wir suchen?«, erkundigte sich Lucinda.
» Niemand Besonderes«, antwortete ich.
» Warum interessieren wir uns dann für ihn?«
Gute Frage, dachte ich. Frag Tanya und ihre überaktiven Schuldgefühle.
» Er ist britischer Staatsbürger. Er ist in Gefahr und braucht unsere Hilfe«, erklärte ich.
» Wir helfen allen möglichen Leuten«, sagte Lucinda. » Aber normalerweise kommen sie zu uns. Was ist anders bei diesem Mann?«
In diesem Moment ging ein Mann auf die Bar zu. Er blickte hauptsächlich zu Boden, gelegentlich aber warf er einen Blick auf Tanya. Er war klein und dick, Mitte vierzig und hatte dünnes Haar. Das FC-Chelsea-Shirt, das er über einer ausgebeulten Jeans trug, war mindestens zwei Spielsaisons alt.
Lucinda seufzte.
» Du hast keine Ahnung, wie es für eine Frau ist, allein in einem Pub zu sitzen, oder?«, fragte sie. » Das ist nur ein Spinner, der sie anmachen will. Das passiert ständig.«
Der Mann legte Tanya die Hand auf die Schulter und beugte sich zu ihr, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Ich konnte ihre Antwort nicht verstehen, aber sie musste treffend gewesen sein, denn er verweilte nicht länger, und auch keiner seiner Kumpel versuchte sein Glück. Das war auch besser so.
Um halb zehn nahm Tanya ihr Handy und schrieb angestrengt eine SMS. Um zehn schickte sie eine weitere. Dann um halb elf und um elf
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