David und Goliath
über sie herzuziehen. Manet und seine Freunde saßen im düsteren Café Guerbois mit seinen Marmortischchen und wackeligen Stühlen, tranken, aßen und diskutierten über Politik, Literatur, Kunst und vor allem über ihre Zukunft. Denn die Impressionisten rangen vor allem mit einer großen Frage: Was sollten sie nur mit dem Salon machen?
Im kulturellen Leben der damaligen Zeit spielte die bildende Kunst eine zentrale Rolle. Im Frankreich des 19. Jahrhunderts war die Malerei ein Beruf, genau wie Medizin oder Jura. Ein angehender Maler studierte an der Ecole des Beaux Arts, der Schule für die Schönen Künste in Paris, die dem Kultusministerium unterstand. Dort erhielt er eine strenge und formale Ausbildung, die mit dem Abzeichnen von großen Meistern begann und mit dem Malen von Aktmodellen endete. Nach jeder Ausbildungsstufe fanden Wettbewerbe statt, in denen die Schlechtesten aussortiert und die besten mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet wurden. Der Höhepunkt des rigorosen Auswahlverfahrens war jedoch der Salon, die wichtigste Kunstausstellung in ganz Europa.
Jedes Jahr reichten die französischen Maler zwei oder drei ihrer besten Gemälde bei einer Jury ein. Abgabetermin war der 1. April. Künstler aus aller Welt karrten ihre Bilder in Handwagen über das Pflaster von Paris zum Palais de l’Industrie, einer Ausstellungshalle, die anlässlich der Pariser Weltausstellung des Jahres 1855 zwischen der Seine unddem Champs Élysées errichtet worden war. Im Laufe der kommenden Wochen fällten die Experten ihr Urteil über jedes einzelne Gemälde. Auf die Bilder, die als unannehmbar galten, wurde ein rotes R gestempelt: rejeté, abgelehnt. Die angenommenen Bilder wurden im Palais aufgehängt. In der sechswöchigen Ausstellung, die Anfang Mai begann, schoben sich bis zu einer Million Besucher durch die Räume, um sich vor den Werken der bekanntesten Künstler zu drängen und sich über die Bilder, die ihnen nicht gefielen, lustig zu machen. Die besten Gemälde wurden mit einer Medaille ausgezeichnet. Die Prämierten wurden hofiert, die Preise für ihre Gemälde explodierten. Die Übrigen schlichen sich nach Hause und machten sich wieder an die Arbeit.
»In ganz Paris gibt es keine 15 Kunstliebhaber, die ein Gemälde zu schätzen vermögen, das nicht das Siegel des Salons hat«, sagte Renoir einmal. »Aber es gibt 80 000, die nicht einmal eine Nase von einem Maler kaufen würden, der nicht im Salon gezeigt wurde.« Der Salon machte Renoir derart nervös, dass er eines Tages während des Auswahlverfahrens der Jury zum Industriepalast ging und draußen wartete, in der Hoffnung, einen Hinweis zu erhaschen, ob eines seiner Bilder angenommen worden war. Schließlich verließ ihn jedoch der Mut, und er stellte sich als »Freund von Renoir« vor. Frédéric Bazille, ebenfalls Stammgast im Café Guerbois, bekannte einmal: »Ich habe furchtbare Angst davor, abgelehnt zu werden.« Und als es Jules Holtzapffel im Jahr 1866 nicht gelang, in den Salon zu kommen, jagte er sich eine Kugel in den Kopf. »Die Mitglieder der Jury haben mich abgewiesen. Das heißt, dass ich kein Talent habe. Deshalb muss ich sterben«, schrieb er in seinem Abschiedsbrief. Für einen Maler im Frankreich des 19. Jahrhunderts war der Salon alles. Und genau deshalb war er ein solches Streitthema für die Impressionisten, deren Bilder wieder und wieder von der Jury abgelehnt wurden.
Der Salon war eine konservative Einrichtung. »Die Bilder mussten bis ins winzigste Detail ausgearbeitet und formal gerahmt sein, sie mussten perspektivisch gemalt sein und sich an die bekannten künstlerischen Konventionen halten«, schreibt die Kunsthistorikerin Sue Roe. 28 »Licht bedeutete Spannung, Dunkelheit Würde. In narrativen Gemälden musste die Szene außerdem eine moralisch genehme Botschaft vermitteln. Ein Nachmittag im Salon war wie ein Besuch in der Oper: Das Publikum erwartete Unterhaltung und Erbauung. Die meisten wussten, was ihnen gefiel, und wollten das sehen, was sie kannten.« Die prämierten Gemälde waren riesige, akribische Darstellungen von Szenen aus der französischen Geschichte oder der Mythologie, mit Pferden, Soldaten oder schönen Frauen und Titeln wie Abschied eines Soldaten , Junge Frau, die über einem Brief weint oder Verlassene Unschuld .
Die Impressionisten hatten eine ganz andere Vorstellung von Kunst. Sie zeigten den Alltag, malten mit grobem Pinselstrich und ließen ihre Figuren unscharf. In den Augen der Jury und
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