Daylight oder wie der Tag zur Nacht wird
schwach und der Nachthimmel war noch nicht ins Schwarze übergeleitet.
Tess ging. Sie lief nicht. Sie hatte keine Eile. Ihre Gedanken schweiften eine Weile umher, doch im Augenblick hatte sie eine Vorstellung, die ihr nicht gefallen hatte.
Was war passiert, als Luke das Blut seines Vertrauten trank? War der Vertraute zum Vampir geworden? Doch Luke hatte damals sein erstes Jahr noch nicht erreicht. So könnte der Vertraute auch nicht verwandelt worden sein. Aber was Fürchterliches war trotzdem mit ihm geschehen, sonst hätte er ihr es erzählt.
Sie konnte sich Sandy nicht als einen Vampir vorstellen. Vampire waren Nachtwesen und San liebte die Sonne, mehr als irgend jemand sonst. Das Mädchen lebte eigentlich in der falschen Gegend. Sie wäre glücklicher, wenn ihre Familie weiter in den Süden ziehen würde.
Sie durfte kein Vampir werden. Ihr Leben wäre sonst am Ende.
Tess konnte sich nicht vorstellen, was Kail täte, falls es wirklich passieren würde. Tess schüttelte den Kopf und flüsterte sich zu:
"Ich muss Luke vertrauen."
Was blieb ihr auch anderes übrig? Sie wollte nicht mehr über die Zukunft nachdenken, sondern die Gegenwart genießen.
Die Sterne wurden heller und der Mond wanderte immer höher. Tess sah Fledermäuse um sich herum fliegen und einmal leuchteten ihr Katzenaugen entgegen. Ihre Beine trugen sie schneller als erwartet zum Haus ihrer Freundin. Tess fuhr sich über ihr Haar.
Okay, los geht es. Klingeln wollte sie nicht. Sandys Mom sollte nicht gleich alles erfahren. Tess glaubte nicht, dass das was San vermutete, ihrer Mom erzählt hatte. Bestimmt schlief die kleine Lil auch schon.
Leise schlich sie sich um die Hausecke und streifte den Rasen bis zu dem Fenster ihrer Freundin. Tess blieb einen Moment stehen und lauschte. Keine Geräusche weit und breit. Hoffentlich war San zu Hause.
Die Vampirin wollte den letzten Teil ihrer Verwandlung problemlos überstehen und durfte nicht mehr länger zögern. Sie hob die Hand um zu klopfen, hielt aber noch immer inne.
Verdammt, Tess mach jetzt.
Sie klopfte. Einmal leise und das nächste Mal etwas lauter. Zuerst regte sich nichts und Tess glaubte, niemand wäre in diesem Haus. Aber dann hörte sie etwas rascheln und knarzen. Vermutlich das Bett.
Hätte die Vampirin noch einen Herzschlag gehabt, hätte er mächtig laut vor Aufregung geschlagen. Sie fuhr sich abermals durchs Haar und schon wurden die Vorhänge beiseite gezogen. Tess erblickte ihre beste Menschenfreundin.
Ihre Augen hatten dunkle Ringe und ihr Mund hing schlaff herunter. So erschien ihr Gesicht älter, als es war. Tess hatte mehr Emotionen erwartet, doch sie zeigte keine Regung, als sie ihre Freundin sah. Selbst die roten Augen machten ihr allem Anschein nach keine große Angst mehr.
Sandy nickte und öffnete das Fenster. Ein leises Quietschen, aber sonst hörte man keine Geräusche.
"Hi, komm herein. Sei aber still. Ich möchte nicht noch mehr Ärger mit meiner Mom, bitte."
Tess nickte knapp und kletterte durch die Öffnung. Sandy trat einen Schritt beiseite und schloss das Fenster hinter ihr. Sandy ließ sich auf ihr Einzelbett nieder und bot ihr den Platz neben sich an. Tess folgte ihr.
Sie musste sich mächtig konzentrieren nicht auf das Pochen des Herzens oder auf das laute Sausen des Blutes zu achten. Doch sie musste es schaffen. Es war zu gefährlich, die Kontrolle zu verlieren. Für beide.
Tess ließ sich neben ihrer besten Freundin nieder und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie zuckte zusammen und Tess zog die Hand sofort wieder beiseite.
Sandy schüttelte den Kopf.
"Geht schon. Ich hatte nicht gewusst, dass du so kalt bist."
"Woher weißt du eigentlich überhaupt etwas über mich?"
Jetzt bekam Sandy ein schwaches Lächeln im Gesicht.
"Och, das ist eine lange Geschichte."
Tess wartete stumm.
Sandy riss sich zusammen und ihre Stirn legte sich in Falten.
"Du kennst doch unser Erbstück. Ich habe dir bestimmt schon etwas über das alte Buch erzählt, habe ich recht?"
Tess nickte, worauf wollte sie hinaus?
"Es ging doch um Vampire, oder?"
"Ja, genau. Früher, als Mom mir davon erzählt hatte, dachte ich, es wäre ein gut gelungenes Märchen. Doch jetzt weiß ich, dass die Geschichte wahr ist. Als du die Schmerzen in der Schule hattest, hatte an mir die Neugier genagt. Lange hatte ich darüber nachgedacht und bin so wieder auf das Buch gekommen."
Ihre Freundin schloss den Mund und schwieg.
"Komm wir haben Zeit. Erzähl mir was geschehen ist."
San
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