Days of Blood and Starlight
wie du meinst.« Thiago ließ seinen Blick durch ihr Zimmer schweifen und hob den Kopf, auf genau dieselbe Art, wie er auf dem Hof ihre Witterung aufgenommen hatte. Das Blähen seiner Nasenflügel war subtil, aber unverkennbar, und seine Augen waren misstrauisch zusammengekniffen.
Hier gibt es nichts zu riechen außer Weihrauch , versuchte sie sich zu beruhigen. Und Schwefel.
Jedenfalls hoffte sie das.
»Ich bin sicher, dass ich dich nicht erinnern muss, was auf dem Spiel steht«, sagte Thiago, und sie schüttelte den Kopf. Doch als er sich zum Gehen wandte, fragte sie sich, was genau er damit meinte. Das Schicksal ihres Volkes? Den Erfolg der Rebellion? Sie hatte sich ihm widersetzt, also steckte vielleicht doch etwas Persönlicheres dahinter.
Was stand auf dem Spiel? Sie fühlte sich, als würde sie bei stürmischem Wind am Rand eines Abgrunds balancieren. Was stand nicht auf dem Spiel?
Und dann wechselte der Weiße Wolf auf ihrer Türschwelle einen Blick mit Ten, der so hinterhältig war, dass Karou ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Plötzlich durchschaute sie, worum es ihnen in den vergangenen Tagen und Wochen gegangen war.
Die ständige Überwachung, die Fragen, die Andeutungen. »Du könntest wieder eine Kirin sein«, hatte Ten zu ihr gesagt. »Ich würde dich wiedererwecken. Du musst mir nur zeigen, wie das geht.«
Schon allein die Vorstellung, ihre Seele Tens Händen anzuvertrauen, war abstoßend. Selbst wenn der Plan nicht die Grube beinhaltete – und das tat er –, war es ihr völlig falsch erschienen. Und jetzt wusste Karou auch, warum.
Ten sollte sie ersetzen. Thiago wollte Karou nicht helfen. Er wollte sie nicht mehr brauchen.
Karou fühlte sich, als würde sie die Augen öffnen und den Weißen Wolf zum ersten Mal, seit er sie in den Ruinen von Loramendi gefunden hatte, wirklich sehen.
Er will mich immer noch umbringen.
Hitze breitete sich in ihrer Brust aus, strahlte bis in ihre Fingerspitzen und kroch als Zornesröte ihren Nacken empor. Sie wollte schreien. Sie wollte sich vor ihm aufbauen und ihm, so laut sie konnte, ins Gesicht schreien – doch mehr noch als das wollte sie lachen . Dachte er ernsthaft, Ten könnte diese Arbeit machen? Karou hatte jahrelang an Brimstones Seite gelernt, und selbst unter seiner Anleitung wäre sie ohne ein gewisses Talent nicht weit gekommen. Sie würde nie vergessen, wie stolz sie gewesen war, als sie sich ihr erstes »Gut gemacht« verdient hatte, die Überraschung und den Respekt in Brimstones Stimme, als er erkannte, dass sie entgegen all seinen Erwartungen mit Magie umgehen konnte.
Dass Ten einen Körper beschwor, war genauso wahrscheinlich, wie dass Virko ein wunderschönes Konzert auf Miks Geige spielte.
Endlich verstand Karou, was für ein Spiel Thiago spielte. Sein erster Plan war gescheitert, er brauchte sie immer noch, und das bedeutete, dass er sich etwas anderes würde einfallen lassen müssen.
Aber was?
Meine Süße
»Hör auf, ihr auf die Brüste zu starren.«
»Was?« Mik wandte sich Zuzana zu, und auf seinen blassen Wangen erschienen tiefrote Flecken. »Mach ich doch gar nicht.«
»Tja, ich schon«, verkündete Zuzana und musterte Issa eingehend. »Ich kann einfach nicht anders. Sie sind perfekt . Das hast du echt super hingekriegt, Karou, aber könnte sie sich vielleicht ein T-Shirt anziehen?«
»Ist das dein Ernst?«, fragte Karou. »Wie viele Nacktmodelle hast du schon gezeichnet?«
»Keine«, antwortete Mik wie aus der Pistole geschossen.
»Okay, vielleicht hast du keine gezeichnet, aber bestimmt hast du auch schon ein paar nackte Brüste gesehen.«
»Nicht wirklich.« Sein Blick schweifte wieder zu Issa hinüber. »Und, na ja, nie an einer Schlangengöttin.«
»Sie ist keine Göttin«, erwiderte Karou liebevoll – auch wenn sie definitiv so aussieht . Sie konnte es immer noch nicht recht fassen: Issa ist am Leben. Issa ist hier . »Sie ist eine Naja, und die Naja tragen keine Kleidung.«
»Stimmt auffallend«, nickte Zuzana. »Sie tragen nur Schlangen .«
»Japp.«
Das Erste, was Issa hatte machen wollen, nachdem sie einen großen Teil des Morgens damit verbracht hatte, die anderen Chimären kennenzulernen, war, durch die Kasbah zu spazieren und Schlangen zu sich zu rufen. Karou war ihr gefolgt, und es hatte sie ein bisschen beunruhigt, dass all diese Schlangen, unter ihnen auch eine hochgiftige ägyptische Kobra, die ganze Zeit über hier gewesen sein mussten, ohne dass sie das Geringste davon bemerkt
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