Days of Blood and Starlight
ausgesucht, weil es einen Riegel an der Tür hatte und ihr ein Gefühl von Sicherheit gab – auch wenn ihr das reichlich wenig brachte, jetzt, wo Thiago auf der falschen Seite der Tür stand.
Warum musste ich den verdammten Zahn auch fallen lassen?, schalt sie sich innerlich. »Ich würde lieber allein arbeiten«, teilte sie ihm mit und blieb demonstrativ im Türrahmen stehen.
Er sah sie durchdringend an, während er an ihren Arbeitstisch trat und den Tigerbackenzahn mit einem leisen Klack ablegte. »Aber du bist nicht allein. Wir beide kämpfen für dieselbe Sache«, argumentierte er mit schneidender Intensität. Und es klang aufrichtig. »Wir sind die Erben, Karou. Was mein Vater und Brimstone für unser Volk waren, das sind du und ich für die Überlebenden.«
Und was für ein schweres Erbe es war: Nichts Geringeres als das Schicksal der Chimärenrassen lastete auf ihren Schultern.
Die Chimären waren nach dem Sieg der Seraphim so gut wie ausgerottet. Thiagos Soldaten waren alles, was von der Armee übriggeblieben war, und nur dank Karous Hilfe hatten sie auch nur die geringste Chance, Widerstand zu leisten.
Als Karou sich ihnen angeschlossen hatte, waren sie kaum mehr als sechzig Mann gewesen: eine Handvoll verwundeter Überlebender aus der Schlacht von Kap Armasin, die durch die Minentunnel entkommen waren, und andere, die sie auf ihrem Weg durch das verwüstete Land getroffen hatten. Sie waren fast alle Soldaten, unter ihnen nur wenige nützliche Zivilisten wie der Schmied Aegir und ein paar Frauen, die sich um das Essen kümmerten. Zwar war eine Rebellenarmee mit sechzig Mann ziemlich armselig, aber sie hatten mehr Hoffnung, als es schien.
Sie hatten die Turibula. Sie hatten Seelen.
Karous Schätzung nach befanden sich mehrere hundert Soldaten in den silbernen Gefäßen, und es war ihre Aufgabe, sie zurückzubringen.
Wir beide kämpfen für dieselbe Sache, hatte Thiago gesagt. Sie sah ihn an und wartete auf die Welle von Abscheu, die sie bei seinem Anblick immer überkam, aber nichts dergleichen passierte. Vielleicht war sie einfach zu müde.
Oder vielleicht breitete das Schicksal das Leben vor einem aus wie ein Kleid auf einem Bett, und man konnte es entweder anziehen oder nackt und schutzlos bleiben.
Inzwischen hatte der Weiße Wolf am anderen Ende des Zimmers Karous Werkzeugkiste entdeckt. Hübsch, wie sie war, mit safrangelbem Leder überzogen, hätte man sie fast für einen Schminkkoffer halten können.
Fast.
Thiago schüttete den Inhalt auf ihrem Tisch aus. Ein paar alltägliche Gegenstände purzelten heraus – Stecknadeln, ein kleines Messer, ein Hammer, Zangen natürlich – aber größtenteils waren es Schraubzwingen. Nichts Protziges, sondern schlichte Schraubzwingen aus Messing, genau wie Brimstone sie verwendet hatte. Es war erstaunlich, wie viel Schmerz man mit solch einfachen Objekten verursachen konnte, wenn man wusste, was man tat. Karou hatte sie von einem Schmied in der Medina von Marrakesch anfertigen lassen, der keine Fragen stellte, aber den Zweck des Auftrags sofort erkannte und sie auf eine so wissende Art angrinste, dass sie sich sofort schmutzig fühlte. Als würde sie es genießen .
»Ich werde den Schmerztribut bezahlen«, sagte der Wolf, und Karou fühlte, wie die Leere, die ihre Abscheu hinterlassen hatte, von Erleichterung durchströmt wurde.
»Wirklich?«
»Natürlich. Ich hätte es schon früher getan, wenn du mich hereingelassen hättest. Glaubst du, mir gefällt es, zu wissen, dass du ganz allein hier eingeschlossen bist und leidest?«
Ja, dachte sie, aber im gleichen Moment spürte sie einen Anflug von Zweifel, ob das Misstrauen, das sie dem Weißen Wolf entgegenbrachte, wirklich gerechtfertigt war. Thiago würde ihre Magie mit seinem Schmerz bezahlen, damit sie es nicht musste. Wie konnte sie das ablehnen? Schon streifte er sein strahlend weißes Hemd ab. »Komm her.« Er lächelte, und sie sah in seinen Augen eine Erschöpfung, die ihrer eigenen glich. »Lass es uns hinter uns bringen.«
Karou gab nach. Mit dem Fuß schob sie die Tür zu und ging zu ihm.
Der Schmerztribut
Schmerz ist etwas ungeheuer Intimes. Jeder, der schon einmal einen Leidenden getröstet hat, kennt das – hilflose Zärtlichkeit, beruhigendes Flüstern, zaghafte Umarmungen, und dann klammert man sich plötzlich aneinander fest, schließt sich zusammen gegen den gemeinsamen Feind, den Schmerz.
Karou tröstete Thiago nicht. Sie berührte ihn nicht mehr, als sie musste, während der
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