Dead: Band 1 - Roman (German Edition)
wegen dem, was passiert ist, von Gott abgewandt, aber sie sind noch nicht auf die Idee gekommen, uns dafür verantwortlich zu machen. Die meisten Flüchtlinge sehen uns als das, was wir sind: Menschen, die helfen wollen. «
» Das möchte ich auch gern sein « , erwidert Paul. » Ich möchte helfen. «
» Dann sind Sie hier am richtigen Platz. Das Lager kann jede Hilfe brauchen, die es kriegen kann. «
Wendy betritt die Polizeiwache: ein mit Graffiti bemaltes Gebäude voller schreiender Menschen, die sich mit kräftigen Männern in bunt zusammengewürfelten Uniformen streiten. Unter anderem sieht man Uniformen von Gefängniswärtern und privaten Sicherheitsdiensten. Das Gebäude riecht nach wütenden Menschen, die die Geduld ihres Gegenübers auf die Probe stellen. Das ist ein Geruch, den Wendy gut kennt. Sie spürt eine Atmosphäre aus Einfalt und brutaler Gewalt. Die Wände sind voller verblassender Bekanntmachungen zum Thema öffentliche Gesundheit, Lagervorschriften und schlechten Durchschlägen von Vermisstenanzeigen. Zwei bärtige Uniformierte schieben sich durch die Menge und laden ihre Gewehre. Auf dem Boden schlafende Hunde heben jäh den Kopf, als die Männer die Wache stampfend verlassen. Ein Mann mit Baseballkappe, Walrossschnauzbart und einem T-Shirt der Feuerwehr von Cashtown zeigt Wendy den Weg zu den Einheit-12-Quartieren. Der Preis für diese Information ist ein demütigender Augenblick sexueller Begutachtung. Es interessiert den Mann gar nicht, warum sie wissen will, wo das Quartier ist. Er glaubt wahrscheinlich, dass sie jemanden besuchen will. Er schaut ihr hinterher und spuckt Kautabaksaft in eine Coladose.
Wendy geht durch einen Gang, der nach Aschenbecher riecht. Der Verwaltungsbereich ist allem Anschein nach in ein Quartier für eine andere Einheit umgebaut worden. Dienstfreie Polizisten latschen barfuß und in Unterhosen von einem Raum zum anderen, kratzen sich an der Wampe und sehen ihr zu, während sie sich mit ihrem Matchbeutel abmüht. Der Korridor wird teilweise von Kisten blockiert, die verschiedene Ausrüstungsgegenstände enthalten. Wendy fragt sich kurz, wie es Sarge geht, und ist überrascht wegen des plötzlichen Gefühls von Schmetterlingen in ihrem Bauch. Als er mit Mattis fortging, schien es ihm zwar gutzugehen, aber sie macht sich seinetwegen Sorgen und fragt sich, wann sie ihn wiedersehen wird.
Kurz vor dem Erreichen des Quartiers wird ihr schlagartig bewusst, was sich hier abspielt: Das Camp ist überfüllt und Raum offensichtlich knapp. Die Menschen stauen sich überall, und von den Fachkräften wird erwartet, dass sie dort wohnen, wo sie tätig sind. Oder aber in der Nähe. Die Einheit-12-Kojen liegen im Zellentrakt. Wendy wird wahrscheinlich in einer Gefängniszelle wohnen. Als sie über diese Ironie des Schicksals nachdenkt, betritt sie den Raum. Sie tritt auf eine leere Bierdose und sieht sich ihr neues Zuhause an.
Sie hatte recht. Acht Männer haben den Vorraum und sechs Zellen besetzt. Ein Mann schnarcht laut auf einer Pritsche, während ein anderer daneben in Boxershorts auf dem Boden sitzt und eine Waffe reinigt. Ein Schnauzbärtiger raucht eine stinkende Zigarre, während er an einem Wasserkühler eine Plastiktasse füllt. Ein anderer steht vor einem Coleman-Ofen. Wendy riecht den üppigen Duft von Kaffee und hat plötzlich großes Heimweh. Ein grauhaariger Mann blickt von seinem Buch auf und schaut sie, einen Zahnstocher zwischen den Zähnen, neugierig über den Rand seiner Lesebrille hinweg an. Wendy erkennt plötzlich, dass alle Anwesenden sie aus hageren stoppelbärtigen Gesichtern ansehen. Was für ’ne tolle Truppe. S ie erwidert die Blicke der Männer äußerst gelassen, denn sie hat ihr Pokergesicht aufgesetzt. Obwohl ihr Herz freudig erregt ist, weil sie nun wieder Polizistin sein kann, fragt sie sich doch, welchen Preis sie dafür zahlen muss.
» Ich suche Ray Young « , sagt sie. » Den Sergeant der Einheit. «
» Und wer bist du? « , fragt der Mann mit dem Buch.
» Officer Wendy Saslove meldet sich zum Dienst. «
Der Mann sieht die anderen kurz an, dann lacht er leise.
» Was haltet ihr davon? « , sagt er, ohne den Zahnstocher aus dem Mund zu nehmen.
» Mein Gott, Jonesy « , sagt jemand hinter ihr. » Ich hätte schwören können, sie ist eine von deinen. «
Wendy erkennt den mild ironischen Ton sofort. Sie dreht sich um und sieht den Mann mit der Baseballkappe lächelnd und mit der Coladose in der Hand im Türrahmen stehen.
» Ich …
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