Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
ich’s eben selbst rausgefunden.«
Die Kamera hielt noch kurz auf ihn drauf, dann kam ein Schnitt. Die Hand mit dem Schild erschien wieder: PROBAND 005.
Wieder saß ein kleiner Junge im Klassenzimmer. Er war deutlich jünger als der letzte, nicht älter als sechs. ImSchneidersitz saß er auf dem Boden, mit wildem Haarschopf und sommersprossigem Gesicht. Seine Augen hatten begonnen, sich am Rand einzutrüben, genau wie bei Dante.
»Wie alt bist du?«, fragte Dr. Neuhaus.
Der Junge dachte darüber nach, während er am Finger nuckelte. »Zwanzig«, sagte er schließlich in angeberischem Ton.
»Verstehe. Das ist ja ziemlich alt für so einen kleinen Menschen.«
Der Junge reagierte nicht.
»Wie viele Jahre bist du schon an der Schule?«
Der Junge dachte nach. »Zehn.«
»Kannst du mir sagen, weshalb man Leute nicht auf den Mund küssen darf?«
Der Junge sah ihn verwirrt an.
»Ist es böse, jemandem die Seele zu nehmen?«
Der Junge schien die Frage gar nicht zu registrieren. »Ich hab Hunger«, sagte er stattdessen.
»Ich habe nichts zu essen da außer ein paar Butterkeksen. Möchtest du einen?«
Der Junge zögerte. Ohne Vorwarnung sprang er auf die Kamera zu und ging auf Dr. Neuhaus los. Jemand schrie auf. Die Kamera wackelte und fiel dann zu Boden, wo die Linse noch einige Stuhlbeine einfing. Laute Stimmen. Ein Stuhl, der über den Boden schabte, und dann plötzlich ein Krachen.
Zwei bestrumpfte Beinpaare schritten durchs Bild. Und dann hob jemand – vermutlich Dr. Neuhaus – die Kamera auf und richtete sie auf zwei Krankenschwestern, die den wild um sich tretenden Jungen auf einem Stuhl festhielten.Sie fixierten ihn, bis er sich beruhigt hatte, und blieben auch dann noch an seiner Seite, als wieder Ruhe eingekehrt war.
Nach einer langen Weile fragte Dr. Neuhaus: »Warum hast du das getan?«
Der Junge sagte nichts.
»Warum hast du das getan?«
Seine Augen fuhren hektisch nach links.
»Schau mich an«, befahl Dr. Neuhaus scharf.
Doch bevor Dr. Neuhaus eine weitere Frage stellen konnte, schnellte der Junge aus seinem Sitz und warf den Stuhl um, während er auf die Schwester zu seiner Linken losging. Dr. Neuhaus legte die Kamera ab, sprang ins Bild und drückte den Jungen zu Boden.
»Okay, das reicht«, sagte Dr. Neuhaus, von dem man jetzt nur noch die Beine sah. Er warf seine Anzugjacke auf den Boden und beugte sich über den Jungen. »Wir bringen ihn zurück auf sein Zimmer.«
Schnitt, und die Hand hielt ein neues Schild hoch: PROBAND 067. Vor uns saß ein Mädchen. Sie sah gepflegt und folgsam aus. Sie saß ganz vorn auf der Stuhlkante und hielt die Knie zusammengepresst.
Sie starrte aus dem Fenster, auf irgendeinen Punkt in der Ferne. »Ich kann noch immer nicht fassen, dass ich das getan habe.«
»Was hast du getan?«, fragte Dr. Neuhaus.
»Ich hab gemacht, was man von mir wollte.«
»Und das war?«
»Ich hab jemanden umgebracht.«
Eine lange Pause folgte.
»Wen hast du umgebracht?«
»Ich hab einen Buben umgebracht, einen kleinen Buben.«
»Wie hast du das gemacht?«
»Ich bin ihm nach, dann hab ich ihn eingefangen und dann hab ich ihn begraben.« Sie blinzelte.
»Belastet es dich, was du da getan hast?«
»Wächter ist mein Beruf«, sagte sie.
»Aber belastet es dich?«
»Ich hab mein ganzes Leben lang darauf hingelernt, Wächter zu werden. Ich muss das machen.«
»Wo schaust du hin?«, fragte Dr. Neuhaus freundlich.
Sie stierte auf ihre Knie, wo ihre Hände einen festen Knoten bildeten. »Ich schau gar nirgends hin.«
»Würdest du mal in die Kamera gucken?«
»Das möchte ich lieber nicht.«
Und wieder ein Schnitt. Wir sahen noch einige mehr und vom Lichtwechsel zwischen den einzelnen Probanden taten mir die Augen weh. Im Schatten der Dunkelheit bemerkte ich, wie Noahs Augen über mich glitten. Ich traf seinen Blick. Einen winzigen Moment lang hielt er ihn und sah dann weg, während hinter uns der Projektor summte und der Film schließlich zu Ende war. Die Stimme von Dr. Neuhaus dröhnte aus der Dunkelheit, als stünde er noch hinter der Kamera. »Ich habe Ihnen das gezeigt, damit Sie begreifen, was von Ihnen verlangt wird. Sie müssen verstehen, wer Sie sind.
Was können wir aus diesen Interviews lernen?«, fragte er und knipste das Licht wieder an.
»Warum sahen ihre Augen so aus?«, fragte Brett. »Ich hab vorher schon Untote getroffen und bei denen waren sie ganz anders.«
Dr. Neuhaus spulte zurück bis zum zweiten
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