Dead - Ein Alex-Cross-Roman
Fläche vor der Leinwand, in die Nähe der Tür, durch die der Täter hereingekommen war. Dann versuchte ich mir anhand der Schilderungen von Detective Cook vorzustellen, was sich hier abgespielt hatte. Der Killer hatte die nichts ahnende Mrs Courlevais überwältigt, er fesselte ihr die Hände und knebelte sie, um ihr dann den Sack über den Kopf zu ziehen. An einer Stelle ihres
Kopfes klebte getrocknetes Blut an den Haaren, was auf einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand hindeutete, der aber vermutlich nicht so heftig gewesen war, dass sie bewusstlos wurde. Ein Opfer bei Bewusstsein war sowieso besser. Effektiver für DCPKs Zwecke, für das ganze Drumherum.
Tatsächlich hatten etliche Zeugen gesehen, wie der Sack sich bewegte, während der Täter ihn in das Kino zerrte.
Ich trat wieder zu der Frauenleiche und ließ den Blick durch den leeren Zuschauerraum wandern. Hier war das Publikum dichter an ihm dran als in all den bisherigen Fällen, daher musste es sehr schnell gehen. Keine Zeit für ausgedehnte Ansprachen oder seine üblichen, ekelhaften Effekthaschereien. Hier konnte er seine Starpose nicht voll ausleben. Also was war dann so attraktiv an diesem bestimmten Ort, diesem Publikum, dieser Französin?
Es schien ihm in erster Linie um den visuellen Eindruck zu gehen. Er hatte »Eilsendung!« gerufen und dann sofort angefangen … ein halbes Dutzend wütender Stiche mit einer Klinge, die so groß war, dass man sie auch in der hintersten Reihe noch erkennen konnte.
Ich blickte auf Mrs Courlevais hinab, dann wieder zu dem leeren Sack neben ihr.
Plötzlich kam mir ein Gedanke. Was könnte wohl noch darin versteckt sein? Befand sich vielleicht noch etwas in dem Postsack?
Mühsam öffnete ich den Beutel, voller Angst vor dem, was ich womöglich finden würde. Schließlich stießen meine Finger gegen ein flaches Stück Plastik. Da war doch etwas. Aber was?
Ich holte es heraus. Was, zum Teufel …? Es war ein Dienstausweis der Post. Das Original war mit einem zweiten Foto überklebt worden. Auch der Name war verändert worden. Er lautete jetzt Stanley Chasen.
Das Bild auf dem Ausweis entsprach den Beschreibungen der Zeugen: ein älterer Weißer, vielleicht Anfang, Mitte siebzig, silbergraue Haare, Knollennase, Hornbrille. Schwerfällig und groß gewachsen.
»Wer ist Stanley Chasen?«, wollte Sampson wissen.
»Wahrscheinlich gar niemand«, sagte ich. Und dann, mit einem Schlag, wusste ich, was dieser Kerl machte - ich tauchte in seine Gedankenwelt ein, und das gefiel mir überhaupt nicht. »Stanley Chasen ist ein Produkt seiner kranken Fantasie. Dieser irre Schweinehund denkt sich irgendwelche Charaktere aus, und dann spielt er deren Rolle, einen nach dem anderen. Und alle Charaktere in seinem Kopf sind Killer.«
Und … was noch? Sollten wir die etwa alle einsperren?
73
Es war fünf Uhr morgens, als ich schließlich das National Air and Space Museum verlassen konnte, doch unser Arbeitstag war noch nicht zu Ende. Bree und ich schickten Sampson nach Hause zu seiner Frau und dem Kleinen, dann fuhren wir wieder nach Baltimore. Dort wartete noch jede Menge Papierkram auf uns und außerdem eine Situation, auf die wir uns irgendeinen Reim zu machen versuchten, falls das überhaupt möglich war.
Während der Fahrt sprachen wir über die Frau, die im Best Western als DCPKs Komplizin agiert hatte, die Fahrerin des blauen Sportwagens. Hatte er sie nur für diesen Abend angeheuert? Oder war sie an der ganzen Mordserie beteiligt? Dazu ließ sich noch nichts Genaues sagen, aber die Frage veranlasste uns, während wir den I-95 entlangfuhren, zu einer Menge Spekulationen, etliche davon stellten eine Verbindung zu Kyle Craig und seiner Flucht aus dem Hochsicherheitsgefängnis von Florence her.
Als wir schließlich vor dem Best Western angelangt waren, blieben Bree und ich erst einmal sitzen und nahmen uns in den Arm, eine Minute lang, aber das war auch schon alles: eine Umarmung, ein Kuss. Dann wurden wir drinnen gebraucht. Es war noch zu früh für einen Anruf zu Hause, also wartete ich noch eine Weile - bis weit in den Vormittag hinein, wie sich herausstellen sollte. Als ich es dann schließlich schaffte, hatte ich den Anrufbeantworter an der Strippe.
Ich beschloss, eine fröhliche Nachricht zu hinterlassen, also genau das Gegenteil davon, wie ich mich in Wirklichkeit fühlte. »Hallo, ihr Hühner, ich bin’s, euer Dad. Hört mal, ich muss noch eine ganze Weile arbeiten, aber am späten Nachmittag
komme ich
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