Dead End: Thriller (German Edition)
»Sekunde«, sagte ich und suchte die E-Mail mit dem Anhang heraus, den ich vor einer Woche bekommen und ausgefüllt hatte. »Hier.« Ich reichte Evi den Laptop.
Sie schaute auf den Bildschirm. Die Furche auf ihrer Stirn wurde abermals tiefer, und sie tippte ein paarmal mit dem Mittelfinger auf die Scrolltaste. Schließlich sagte sie: »Das hier habe ich noch nie gesehen. Mit dem Psychologischen Beratungsdienst hat das nichts zu tun. Da gibt’s ja einen ganzen Abschnitt zu Phobien und irrationalen Ängsten.«
»Mein Gott.« Ich wandte mich um und ging zum Fenster, um Zeit zum Nachdenken zu haben. »Wir können Meg, Nick und Thornton nicht ausschließen«, stellte ich fest. »Zusammen hätten sie locker das nötige medizinische und psychiatrische Fachwissen.«
»Scott Thornton hat vor sechs Monaten das IT -System der medizinischen Fakultät umgestellt«, meinte Evi. »Er hat die Computer-Fachkenntnisse.«
Draußen hatte der Himmel die Farbe von nicht poliertem Silber und schien schwer auf die Erde zu drücken. Ich hatte ein ganz ähnliches Gefühl in meinem Kopf, als wäre da nicht genug Platz für all die Informationen, die sich hineinzuquetschen versuchten. Oh Mann, da hatte ich mir den richtigen Tag ausgesucht, um mich mit meinem Vorgesetzten zu verkrachen.
Eine plötzliche Bewegung ließ mich herumfahren. Evi schien in ihrem Rollstuhl Krämpfe zu haben; ein Ausdruck heftigen Schmerzes lag auf ihren Zügen. »Laura, könnten Sie mir bitte meine Tasche geben?«, keuchte sie.
Ihre Tasche lag einen halben Meter von ihr entfernt auf dem Boden. Ich hob sie auf und reichte sie ihr, dann sah ich zu, wie Evi sich unbeholfen zwei ovale Tabletten in den Mund schob. An der zweiten verschluckte sie sich. Sie hustete und japste die paar Augenblicke lang, die ich brauchte, um ihr vom Waschbecken in der Ecke ein Glas Wasser zu holen. Ich reichte ihr das Glas, und sie trank mehrere Sekunden lang. Als sie wieder ruhiger geworden war, sah sie mich mit Tränen in den Augen an.
»Was machen wir denn jetzt?«, fragte sie, und irgendetwas daran, wie verletzlich sie aussah, ließ mich einen Entschluss fassen.
»Sie können dafür sorgen, dass Jessica nichts zustößt«, sagte ich. »Sie lassen sie doch stationär aufnehmen, richtig? Heißt das, sie ist in Sicherheit? Dass niemand an sie rankommt?«
Evi sah verängstigt aus. »Ja, natürlich«, antwortete sie. »Die Psychiatrie ist sicher. Die Station ist abgeschlossen, und die Patienten stehen die ganze Zeit unter Beobachtung.«
»Ich denke, dann sollten Sie nach Hause fahren und sich ausruhen. Wenn Sie sich später dazu imstande fühlen, können Sie versuchen, die Namen derjenigen auszugraben, die vor fünfzehn Jahren hier Medizin studiert haben«, fuhr ich fort. »Wir können die Liste zusammen durchgehen und schauen, ob uns da jemand auffällt. Und ich hätte gern Megan Princes Adresse, wenn Sie die kennen. Die von Thornton habe ich schon. Und die von Nick auch«, setzte ich einen Moment später hinzu.
»Wieso, was haben Sie …«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich hab Sie da schon genug reingezogen. Ihnen geht es ganz eindeutig nicht gut.«
Evi schüttelte den Kopf. »Mir fehlt nichts«, beteuerte sie.
»Oh doch. Sie sind krank«, widersprach ich. »Hören Sie, ich muss jetzt gehen, aber ich komme später vorbei, um mit dem Hund zu gehen und zu sehen, wie es Ihnen geht. Rufen Sie mich an, wenn Jessica etwas sagt.«
Evi versprach es, und ich verließ das Krankenhaus. Als ich wieder in meinem Auto saß, wählte ich Joesburys Nummer und hielt den Atem an. Nach zwei Sekunden hörte ich eine Mailbox-Ansage.
»Ich bin’s«, sagte ich. »Ich bin noch in Cambridge. Dafür gibt es einen guten Grund. Rufen Sie mich zurück.«
Ich fuhr wieder los und fragte mich, ob der Plan, einen kleinen Einbruch zu begehen, wohl Joesburys Zustimmung finden würde.
65
Scott Thornton wohnte in der St. Clement’s Road, einer schmalen Straße mit Reihenhäusern aus Backstein, ungefähr anderthalb Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Der rote Saab war nirgends zu sehen.
Bei dieser ganzen verschrobenen Geschichte begann sich allmählich eine Art Muster herauszukristallisieren. Die psychologischen Schikanen und Misshandlungen an jungen Frauen waren höchstwahrscheinlich der Grund, weshalb das SO 10 hier ermittelte. Wie das Ganze inszeniert wurde, wusste ich noch immer nicht. Ebenso wenig konnte ich erklären, warum das alles geschah. Doch Gott sei Dank hatte ich endlich einen Hinweis, wer
Weitere Kostenlose Bücher