Dead End: Thriller (German Edition)
Gerichtsmedizin verließen. Der Sohn trug die Dreijährige, und man konnte ihn nur teilweise im Profil sehen.
»Ich weiß nicht, ob es etwas bringen würde, wenn man ihn richtig erkennen könnte«, meinte Evi. »In Cambridge können zu jedem beliebigen Zeitpunkt an die neunhundert Medizinstudenten immatrikuliert sein. Die aus meinem Jahrgang würde ich wahrscheinlich erkennen, aber die über mir …«
»Und wenn das Foto vor über zwanzig Jahren gemacht worden ist, sieht er jetzt wahrscheinlich ganz anders aus«, sagte ich.
»Er könnte also hier sein?«
»Die Stadt hat über hunderttausend Einwohner«, erwiderte ich. »Jede Menge Verstecke. Andererseits will ich vielleicht auch einfach nur nicht, dass es Nick ist.«
Evi schob die Hand über den Tisch, bis sie leicht auf der meinen ruhte.
»Ich auch nicht«, sagte sie. »Aber selbst wenn Iestyn Thomas hier ist und all das dirigiert, das kann er nicht allein machen.«
Und es war eins der vielen überraschenden Dinge an diesem Tag, dass ich die Hand drehte und Evis Finger umfasste. Gleichzeitig begannen meine Augen und meine Nase zu prickeln. Ich hielt den Blick fest auf die Tischplatte gerichtet, in der schwachen Hoffnung, Evi würde es nicht merken.
»So etwas geht nie gut aus, Laura«, sagte sie. »Selbst wenn wir am Ende gewinnen, die Wunden, die zurückbleiben, brauchen lange, um zu verheilen.«
Zu meinem Entsetzen sah ich eine Träne auf die Tastatur fallen. Sie landete mitten auf dem J.
Evis Hand drückte die meine ganz leicht. »Tief durchatmen, kräftig blinzeln und dann Nase putzen«, wies sie mich energisch an. »Für Therapie ist noch reichlich Zeit, wenn die bösen Jungs sitzen.«
Ich tat wie geheißen. Doch als ich sie ansah, glänzten auch ihre Augen feucht.
»Sie sind noch nicht drüber weg, nicht wahr?«, fragte ich. »Über diese Geschichte letztes Jahr in Lancashire, meine ich.«
Eine Träne schimmerte in Evis dichten schwarzen Wimpern. »Ich weiß nicht, ob ich je darüber weg sein werde«, gestand sie. »So was zu erleben ist wie ein schwerer persönlicher Verlust. Darüber kommt man nicht hinweg, man lernt nur, damit zu leben.«
»Was ist aus dem Vikar geworden?«, wagte ich mich vor.
Sie lächelte, ließ meine Hand los und tätschelte sie kurz. Sie antwortete nicht sofort, doch ich hatte nicht den Eindruck, dass es sie störte, dass ich ihn angesprochen hatte.
»Ich habe Zeitungsfotos gesehen, wo er Ihnen in Ihr Auto geholfen hat«, erklärte ich. »Sah aus, als wären Sie beide zusammen.«
Ein trauriges kleines Kopfschütteln. »So weit sind wir nicht gekommen. Harry und ich waren schuld am Tod einer Frau. Sie war eine Patientin von mir.«
»Wie schuld?«
»Das ist eine lange Geschichte, und es war eigentlich nicht Harrys Schuld, sondern meine. Eine Weile habe ich geglaubt, ich würde deswegen meine Praxiszulassung verlieren, aber am Schluss habe ich nur einen Verweis von der Ärztekammer bekommen. Trotzdem …«
»Sie können sich selbst nicht verzeihen?«
Sie seufzte. »Einen Patienten zu verlieren, den man behandelt, ist schon schlimm genug, Laura. Wenn das passiert, weil man selbst egoistisch gehandelt hat, ist es fast unerträglich. Ich konnte nicht mit Harry zusammen sein und damit klarkommen. Und er auch nicht.«
Sie sah auf die Uhr und drückte auf einen Knopf, um den Laptop auszuschalten. Die Zeit verstrich, und wir hatten beide andere Verpflichtungen.
»Vor langer Zeit habe ich mal einen Riesenfehler gemacht«, sagte ich. »Und die Konsequenzen werden so lange andauern, wie ich lebe. Ich weiß genau, wie es ist, jemanden gernzuhaben, mit dem man nicht zusammen sein kann. Ich kenne mich aus mit Hindernissen, die einfach nicht weggehen, egal wie sehr man es sich wünscht.«
»Ist beschissen, nicht wahr?«, bemerkte Evi.
»Oh, und wie. Aber bei allem Respekt, was Sie mir da gerade über Sie und Harry erzählt haben, ist Quatsch.«
Augenbrauen in die Höhe, ein Funkeln in diesen tiefblauen Augen. »Ach, finden Sie?«
»Glauben Sie mir, was unüberwindliche Hindernisse angeht, ist Ihrs nichts weiter als Hühnerkram«, belehrte ich sie. »Wenn er Ihnen wirklich so viel bedeutet, dann kommen Sie auch damit klar. Ich an Ihrer Stelle würde ihn anrufen.« Ich griff in die Tasche, zog mein Handy hervor. Joesbury hatte nichts davon gesagt, dass ich nicht bei einem Mann Gottes anrufen dürfte. »Der Akku ist voll«, verkündete ich und wedelte damit in ihre Richtung.
»Sie spinnen ja.« Sie machte keinerlei Anstalten,
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