DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
blieben reglos sitzen. Es war kurz an der Backbordseite aufgetaucht, dann jedoch direkt wieder verschwunden. Er fragte sich, ob sie gezielt danach suchen sollten. Doch dann geschah etwas, das Goslings Gedankengänge zu einem abrupten Halt brachte. Auch die anderen konnten nicht länger denken oder etwas anderes tun – denn der Nebel begann, sich zu lichten.
Er wurde dünn und durchscheinend wie ein nasses Hemd. Er begann, sich zu entwirren und auszuwickeln, warf mottenzerfressene Lumpen, filigrane Schleier und nebulöse Leichengewänder von sich. Er löste sich auf und zerfiel wie feuchte Papiertücher und uralte Totenhemden. Ja, wie eine Stripperin entkleidete sich der Nebel, schleuderte seine Kleidung weg und entblößte die nackten Gerippe. Und dieser Vergleich traf es durchaus – denn überall gab es Gerippe.
Cushing sprach es aus: »Der Friedhof der Schiffe. Mein Gott, es ist der Friedhof der Schiffe ...«
Und jetzt sahen sie es alle.
Der Nebel war noch da, inzwischen kaum mehr als ein dünner Schleier. Das Algenmeer erstreckte sich in alle Richtungen, ein feuchter, triefender Filzteppich aus grünen Ranken und aufgerollten Blättern, Stängeln und Blasen und fauligen Schlinggewächsen. Grün und gelb und durchsetzt von rosafarbenen Blüten. Und mittendrin, wie Grabsteine in klebriger, wuchernder Vegetation: Wracks. Kiele und Unterseiten, Buge und Schanzkleider, Bugspriete und spinnenhafte Gewirre von Ladebäumen, überwuchert mit maritimen Gewächsen und schleimigen, aufgeblähten Schlingpflanzen, die sie noch tiefer in den Tang hineinzuziehen versuchten. Die Männer bemerkten zerschmetterte Ruderboote und leckgeschlagene Schuten und die spillerigen Gerippe von Schonern, die im Algendickicht auf der Seite lagen. Ein endloser, unkrautiger Schrottplatz der Meere. Überall tote Schiffe, ihres Fleisches und ihrer Masten beraubt, zerbröckelnde Skelette, überkrustet mit Muscheln und Krebsen und anderem Meeresgetier. Zu Dutzenden und Aberdutzenden ragten sie aus diesem üppigen Algenbett auf. So viele, dass es ihnen den Atem nahm.
Aber es gab nicht nur versunkene und verfallene Schiffe, sondern auch fast intakte Wracks und Rümpfe, einige stolz und hoch im Wasser, andere tief in den klebrigen grünen Urwald eingesunken. Hier hingen Hunderte von Schiffen bewegungslos fest. Frachter und Tanker, Fischerboote und Yachten, Dampfschiffe und Walfänger. Einige konnten noch nicht lange hier sein, aber andere ... älter als alt, Barken und Paketschiffe, Clipper und Brigantinen aus dem 18. Jahrhundert. George erspähte ein verfaultes und überwuchertes Wrack in den Algen und dem schmutzigen schwarzen Wasser, das der wurmzerfressene, löchrige Kadaver einer spanischen Galeone sein mochte.
Viele waren mastlos und vergilbt und wiesen riesige Löcher wie von Torpedotreffern auf. Gefangen im Seetang war es ihnen unmöglich, ganz zu versinken, und so zerfielen sie langsam, ihre Besatzungen längst tot, ihre Deckaufbauten eingesunken mit durchhängenden Balken und abgeknickten Pfosten. Einige der alten Segelschiffe wirkten beinahe noch seetauglich, aber die meisten krängten schwer nach Back- oder Steuerbord – tot, verwesend, auf der Suche nach einem Grab.
Diese Schiffe waren es, die die Aufmerksamkeit und Fantasie der Männer im Floß und im Rettungsboot in Anspruch nahmen. Nicht die modernen Schiffe, sondern diese abblätternden Mumien aus vergangenen Jahrhunderten: die Briggs und Schoner, Viermaster und Rahsegler. Ihre Segel waren längst zu schmuddeligen Fetzen zerfallen, aber man konnte beinahe ihre Geschichte fühlen, wie sie auf den Wellen ritten, knarrend und ächzend, die Wanten knatternd und flatternd. Aber das war lange, lange her. Denn der Seetang beanspruchte sie jetzt, hielt sie in seiner grünen Faust fest wie Friedhofserde und ließ sie nicht los, ließ sie nicht die Vergessenheit finden, die sie verdienten. Der Tang hatte sie eingefangen, überwucherte ihre Rümpfe, einige hatte er komplett eingeschlossen, sodass man unter all dem glänzenden, verfilzten Gestrüpp nur noch die allgemeine Form eines Schiffs erkennen konnte. Er spross aus offenen Bullaugen, wand sich um Relings, schlängelte sich um Taue und umschlang Ruderhäuser.
Aber es war nicht nur der Tang, denn hier in diesem dampfigen, brackigen Sumpf hatten sich auch dicke Pilzgeflechte über Topp- und Besanmasten ausgebreitet, über Klüver und Bramstengen. Geboren wurde der Pilz im fauligen Treibhaus und wuchs von dort über die Masten in
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