DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
in diesem Nebel zu suchen?
George sah sich zu Gosling um, wollte etwas sagen, wollte ihn wecken, aber seine Kehle hatte sich zu einem winzigen Loch verengt, durch das er kaum noch Luft bekam.
Wenn Sie mich brauchen, dann wecken Sie mich, klar?
Aber George konnte es nicht. Er schaffte es kaum, zu atmen. Wie erstarrt, unbeweglich. Das Herz schlug flach in seiner Brust.
Jetzt winkte ihm das Mädchen zu.
Und George konnte nichts tun, nicht das Geringste. Er hatte nicht die Kraft, zurückzuwinken. Und die Vorstellung, zu winken, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken – das war ohnehin undenkbar. Denn in diesem kleinen Mädchen lebte und atmete die Verkörperung aller Ängste, die er jemals ausgestanden hatte, jede Sorge seines Erwachsenenlebens und jeder Schrecken seiner Kindheit.
Das Mädchen bewegte sich in seine Richtung.
Verzweifelt und voller Panik sagte George sich, dass er diese grässlichen Bilder schleunigst aus seinem Kopf vertreiben musste, denn das Ganze war nichts als eine Halluzination, nur ein dunkles Trugbild, ausgespuckt aus der Tiefe des Nebels, und wenn er es in seinem Geist Wurzeln schlagen ließ, wenn es dort zu sehr Fuß fasste ...
Aber er hatte nicht den Eindruck, dass er halluzinierte.
Er sah, wie ein kleines Mädchen in einem Kleid, das aus dem 19. Jahrhundert zu stammen schien, sich in seine Richtung bewegte, wie es näher und näher kam, und er fühlte sich absolut unfähig, etwas anderes zu tun, als dabei zuzusehen.
Was ich da sehe, ist kein Kind. Ich weiß beim besten Willen nicht, was es ist, aber es kann kein kleines Kind sein. Es ist etwas anderes. Entweder eine Wahnvorstellung, die mein Geist erschaffen und ausgeschmückt hat – oder etwas noch Schlimmeres. Etwas, das mir vormachen will, es sei ein kleines Mädchen.
Ja, das klang vernünftig.
Etwas Abscheuliches und Degeneriertes, etwas, das in schwarzen Tiefseegräben spukte und in den verfaulenden Rümpfen untergegangener Schiffe hauste. Etwas, das in den Knochen der Ertrunkenen wühlte und zwischen versunkenen Masten heulte und Schiffe ins Verderben lockte. Ja, das war es. Die lebende, schreckenerregende Personifizierung all der Männer, Frauen und Kinder, die auf See zugrunde gingen und hinabgezogen wurden in düstere Grabstätten aus wogendem Seetang und ausgeweideten Totenschiffen und krebsverkrusteten Gebeinen, die das Licht nie wieder berührten.
George dachte zuerst, sie stünde auf einer Insel aus Seetang, aber das war nicht der Fall. Sie bewegte sich, ja, stand dabei aber völlig still, schwebte sehr langsam auf ihn zu, wenige Zentimeter über dem Wasser. Sie war in Nebelausläufer gehüllt, aber er konnte erkennen, dass sie ein königsblaues seidenes Taftkleid mit weißen Bändern und Paspeln trug. Ein Kleid für eine Feier. Ein goldenes keltisches Kreuz hing um ihren Hals.
Ein Geist, sagte ihm sein Verstand. Der Geist eines kleinen Mädchens, das von diesem toten Meer verschlungen wurde. Ein Gespenst, das im Nebel spukt ...
Als sie näher kam, sah er, dass ihr Haar goldene Löckchen hatte und ihr Gesicht glatt und weiß wie Porzellan schimmerte. Eine viktorianische Puppe. Sie sah aus wie eine viktorianische Puppe.
Doch nein, das stimmte gar nicht.
Das Gesicht wirkte leichenblass, gebleicht vom Meerwasser, die Augen nichts als große schwarze Löcher, angefüllt mit einem nebligen gelben Leuchten wie Vollmonde, die hinter einer Nebelbank versanken. Diesig und neblig und schaurig. Sie befand sich nur noch drei, vier Meter entfernt, und George konnte erkennen, dass Seetangbüschel über ihre Schultern hingen und sich in ihrem Haar verfangen hatten. Ihr Kleid nichts als ein schmutziger Lumpen mit großen Stockflecken. Nebel stieg dampfend auf, brodelte in ihrem Körper und trat zischend durch zahllose Löcher in der Haut aus, als brenne sie innerlich. Sie zog wabernde, rauchige Nebelschwaden hinter sich her, und aus ihren ausgestreckten Fingern sickerten dunstige Tentakel.
George spürte, wie in seinem Kopf etwas zerbrach, so wie Glas in einem fernen Zimmer.
Näher und näher. Er konnte die Nebelbank durch die Risse, die sich in ihren Körper gefressen hatten, erkennen, die grünen Meereswürmer, die in ihrem Hals wühlten. Ihre weit aufgerissenen Augen funkelten gelb, ein Speichelfaden hing von ihren Lippen herab.
Etwas baute sich in George auf, etwas Wütendes, Scharfes, Gewalttätiges. Ein Schrei quälte sich seinen Rachen herauf.
Deine Seele ... sie ist gekommen, um dir deine Seele zu rauben.
Sie
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