DEAD SHOT
amerikanische Patrouille über die Kreuzung fahren würde, die etwa siebenhundert Meter von seinem Versteck entfernt lag. Aber all die Spurrillen, beschädigten Schutzwälle und plattgewalzten Gräser deuteten auf einen regen Fahrbetrieb hin. Genau wie Tiere, die immer den gleichen Pfad durch den Dschungel nehmen, fuhren auch die stählernen Kolosse der Amerikaner dieselben Strecken und glaubten wohl, dass der einsame irakische Verkehrspolizist für genügend Sicherheit sorgte. Denn schließlich war es nur eine Zwischenstation; die Kampftruppen waren bloß auf der Durchfahrt.
Juba hatte in einem verfallenen Geschäft Stellung bezogen, das nur noch aus losen Dachbalken und abgebröckelten Steinmauern bestand. Während seiner Erkundungstour hatte er einen verborgenen Zugang zum Keller des Ladens entdeckt, und nachdem er einige größere Steine zur Seite gewälzt hatte, hatte er einen freien Blick auf die besagte Kreuzung. Dann hatte er den Ort vorübergehend verlassen, die Steine wieder an ihre ursprüngliche Position geschoben und war erst einige Stunden später mitsamt der Ausrüstung zurückgekehrt.
Im Schein einer starken Taschenlampe baute Juba sich ein solides Versteck, das von oben und an allen Seiten Schutz bot. Aufgestapelte Steine und Holz boten eine gute Unterlage für das Steyr Mannlicher. Die Spitze des Laufs blieb in den Schatten der Höhle. Dann machte er die Taschenlampe aus und probte mehrmals die Flucht, kehrte jedes Mal zurück und ging um den verfallenen Laden herum, um noch mehr Schutt als Schutzwall zu nutzen. Ein schmutziges Stück einer blauweiß gestreiften Markise verdeckte den Hinterausgang und war mit Steinen beschwert.
Die Dämmerung brach an. Mit etwas Glück würden die Amerikaner kommen. Im frühen Licht des anbrechenden Tages entfernte Juba nach und nach die losen Steine und schuf sich so ein kleines Fenster mit Blick auf die Kreuzung. Die Öffnung war gut sechzig Zentimeter hoch und ebenso breit und wurde von Buschwerk an der Hausmauer verdeckt. Wenn ein Scharfschütze schießt, schauen die Leute in der Zielzone automatisch nach oben, da sie den Schützen auf einem Dach vermuten, wo die Höhe von Vorteil ist. Deshalb hatte Juba einen Posten gesucht, der neben einem zweistöckigen Haus stand. Während der kritischen Phase würden die Amerikaner sich zunächst nur auf das höchste Gebäude konzentrieren. Juba würde genau drei Schuss abfeuern, nicht mehr. Denn bei mehr als drei Schüssen konnte der Gegner den Ort des Schützen anhand des Mündungsfeuers ausfindig machen. Drei Schüsse, drei Tote. Und weg.
Am Vortag, während der Erkundungstour, war ihm aufgefallen, dass die Kinder in der Gegend Süßigkeiten aus Amerika aßen, mit Kugelschreibern auf Notizblöcken kritzelten und mit dämlichem Plastikspielzeug spielten. Geschenke der US-Soldaten. Man baute Beziehungen auf. Gut so.
In der Ferne war ein mahlendes Rumpeln zu hören, und richtig, ein Dutzend Kinder lief Richtung Kreuzung. Zwei klobige M2 Bradley Infanterie-Kampffahrzeuge kamen die Straße herunter und wirbelten enorme Staubwolken auf, die die nachfolgenden Humvees einhüllten. Juba merkte sich, dass die 25-mm-Bushmaster-Maschinenkanonen auf den Bradleys die größte Gefahr für ihn darstellten. Pass auf, dass die nicht auf dich zielen.
Die Kinder liefen neben den Fahrzeugen her, kamen den Ketten und Rädern nicht zu nahe und riefen den Soldaten etwas in gebrochenem Englisch zu. Wie nicht anders zu erwarten, regnete ein Schauer aus bunt eingepackten Süßigkeiten auf die Kids herab. Der Konvoi erreichte die Kreuzung und hielt an. Der Polizist leitete den Verkehr um die Fahrzeuge herum. Alle dort drüben wirkten entspannt, und Juba zielte auf den zweiten Bradley, von dem einige Antennen aufragten: bestimmt das Kommandofahrzeug. Die Gefechtstürme waren offen, aber die Schützen blieben cool und scherzten mit den Kindern herum. Schließlich stiegen die Soldaten aus, die Gewehre über der Schulter. Einige von ihnen gingen bei den Kindern in die Hocke. Die Patrouillen trafen sich dort oft mit anderen Konvois, ehe jede Abteilung in unterschiedliche Richtungen fuhr. Nur zwei Mann hielten im Augenblick Wache, am Kopf und am Ende des Konvois. Die einheimischen Erwachsenen hielten sich jedoch von den Amerikanern fern, standen in Hauseingängen zusammen oder gingen ihren Tagesgeschäften nach.
Juba blendete sämtliche Geräusche um sich herum aus. Das Kommandofahrzeug bot ein verlockendes Ziel, denn dort hielten sich vermutlich
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