Deadlock
noch die persönlichen Habseligkeiten meines Vetters mitnehmen.«
Er wählte eine Nummer. »Er hatte nichts Persönliches hier. Folglich dürfte nichts mitzunehmen sein.«
»Haben Sie seinen Schreibtisch durchsucht, Mister Phillips? Oder war es die tüchtige Lois?«
Er hielt mitten im Wählen inne und wurde wieder knallrot. Er schwieg, aber seine hellbraunen Augen irrten unstet umher. Dann sagte er, um Ungezwungenheit bemüht: »Selbstverständlich haben wir seine Unterlagen durchgesehen, schon um festzustellen, ob er nicht mitten in einer Arbeit steckte, die ein anderer übernehmen musste.«
Ich ging in Champs Kabuff zurück. Kein Mensch war zu sehen. Die schwarzweiße Uhr über dem Eingang zeigte halb eins. Sie mussten alle beim Essen sein. Janet hatte ein ordentlich verschnürtes Päckchen auf dem Schreibtisch hinterlassen mit der Aufschrift »Mr Warshawskis Cousine«; offenbar war ihr entfallen, dass ich ja genauso hieß. Darunter hatte sie vermerkt: »Bitte so bald wie möglich zurück.« Das »Bitte« war dick unterstrichen. Ich nahm das Paket an mich und verließ das Gebäude. Phillips machte keinen Versuch, mich aufzuhalten.
9
Ein ganz gewöhnlicher Mord
Auf dem Interstate 94 stadteinwärts herrschte zu dieser Tageszeit wenig Verkehr. Ich erreichte mein Büro gegen halb zwei und meldete mich umgehend bei meinem telefonischen Auftragsdienst. Murray hatte angerufen, und ich wählte sofort seine Nummer.
»Was gibt's, Vic? Hast du etwa Neuigkeiten über den Mord an Kelvin?«
»Keinen Schimmer. Aber ich hoffe, du wirst einer Dame den Gefallen tun und einen Kollegen von der Gesellschaftsspalte bitten, für mich etwas herauszusuchen.«
»Wenn du so was willst, Vic, geht's doch meistens um eine große Story, mit der du bis zum Schluss nicht herausrücken willst!«
»Murray! Was für eine Unterstellung! Wie liefs denn bei Anita McGraw? Und bei Edward Purcell? Und bei John Cot-ton? Das waren wohl keine guten Storys?« »Ja, schon. Aber zunächst hast du mich mal an der Nase herumgeführt. Weißt du was Neues über Kelvin?«
»Unter Umständen. Aber zunächst einmal brauche ich Material über Paige Carrington.«
»Wer ist denn das?«
»Eine Tänzerin. Sie war mit meinem Vetter befreundet, bevor er verunglückte. Neulich hat sie in seinem Apartment nach Liebesbriefen gesucht, und kurz danach wurde Kelvin umgebracht. Der Täter hat die Wohnung förmlich auf den Kopf gestellt. So was macht mich nervös. Ich möchte gern mehr über Paige erfahren, außerdem interessiert mich, ob eine eurer Klatschkolumnistinnen von der Beziehung zwischen ihr und Champ Wind bekommen hat.« »Ach, stimmt ja! Champ Warshawski war dein Vetter. Hätte ich mir denken können, nachdem ihr die einzigen Warshawskis seid, die mir je begegnet sind. Tat mir sehr Leid, als ich hörte, dass er verunglückt ist. Ich war auch einer von seinen Fans ... Sag mal, da ging doch alles mit rechten Dingen zu, oder?« »Soweit mir bekannt ist, ja, Murray. Er muss auf glitschigem Holz ausgerutscht und in die Schraube eines Frachtschiffes geraten sein.« »Herr im Himmel! Kaum vorzustellen, dass das jemandem passiert, der so durchtrainiert war wie er ... Hör zu, als alter Hockeyfan helfe ich dir natürlich gern. Aber wenn da eine Story drin ist, steige ich voll ein ... Paige Carrington ... Wie heißt ihr Vater?«
»Keine Ahnung. Sie hat mal erwähnt, dass sie in Lake Bluff aufgewachsen ist.« »Alles klar, Vic. Ich ruf dich in zwei bis drei Tagen an.«
Ich machte Janets Paket auf und zog die Unterlagen hervor. Drei umfangreiche Pultordner mit der Aufschrift »Juni«, »Juli« und »August« waren mit Hunderten von Kopien von Computerausdrucken gefüllt. Bevor ich mich mit ihnen befasste, ging ich zu Johnnie's Steak Joynt hinunter und genehmigte mir eine Fresca und ein Gyros-Brötchen. Beim Durchblättern des »Herald-Star« fiel mir die Anzeige über Kelvins Trauerfeier ins Auge. Die Feierlichkeiten fanden heute Nachmittag um vier in einer Leichenhalle in der South Side statt. Vielleicht sollte ich hingehen.
Oben in meinem Büro machte ich die Schreibtischplatte frei und breitete die Akten vor mir aus. Jedes Blatt enthielt Computerangaben - alle nach dem gleichen Muster: Datum der Übernahme, Lade- und Zielort, Name des Frachters, Umfang und Gewicht der Ladung, Getreideart, Kosten pro Bushel und Ankunftsdatum - ein Überblick über die gesamte Frachttätigkeit der Eudora in einem Zeitraum von drei Monaten. Dabei handelte es sich nicht um amtliche
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