Deathbook (German Edition)
bin nur in das Zimmer nebenan gegangen. Ich bin ich, ihr seid ihr. Das, was ich für euch war, bin ich immer noch. Gebt mir den Namen, den ihr mir immer gegeben habt. Sprecht mit mir, wie ihr es immer getan habt. Gebraucht keine andere Redeweise, seid nicht feierlich oder traurig. Lacht weiterhin über das, worüber wir gemeinsam gelacht haben. Betet, lacht, denkt an mich, betet für mich, damit mein Name ausgesprochen wird, so wie es immer war, ohne irgendeine besondere Betonung, ohne die Spur eines Schattens. Das Leben bedeutet das, was es immer war. Der Faden ist nicht durchschnitten. Weshalb soll ich nicht mehr in euren Gedanken sein, nur weil ich nicht mehr in eurem Blickfeld bin? Ich bin nicht weit weg, nur auf der anderen Seite des Weges … der Tod ist nichts.»
Schon während sie sprach, bemerkte Ann-Christin eine Veränderung bei Quindt. Er hatte aufgehört, an der Kamera herumzufummeln. Seine Arme hingen schlaff an den Seiten herab, sein Kinn war auf die Brust gesackt. Leider drehte er ihr seinen breiten Rücken zu, sodass Ann-Christin sein Gesicht nicht sehen konnte.
Als sie geendet hatte, wurde es still in dem großen Raum. Ann-Christin meinte, die Wände atmen zu hören. War sie endlich zu ihm durchgedrungen? Würde er von seinem Tun ablassen?
Hoffnung durchflutete sie. Bis zu dem Moment, da er sich umdrehte.
Das warme Lächeln war verschwunden. Seine Mundwinkel und Augenlider hingen herunter, er stierte sie von unten herauf an. Sein Mund war leicht geöffnet. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Er schien ein völlig anderer Mensch zu sein als noch vor wenigen Augenblicken.
«Der Tod ist alles», sagte er leise und sprach wie eine Maschine. «Alles, verstehst du, alles … scheiß auf das Leben … nur Schmerzen und Blut … nur Häme und Gemeinheiten … ich glaubte, du wüsstest etwas vom Leben und vom Tod, aber du weißt gar nichts … das Leben kannst du wegwischen wie Fliegendreck, eine Kugel in den Kopf, peng, Gehirn und Knochensplitter überall, auf dem Tulpenbild, vor allem da … überall, aber vor allem auf dem Tulpenbild …»
Mit schweren Schritten kam er auf sie zu. Sein Kopf hing immer noch herab, die Fäuste öffneten und schlossen sich. Ann-Christin glaubte, einen hypnotisierten Menschen vor sich zu haben.
Er streckte die Hand aus, fummelte an der Kanüle an ihrem Oberschenkel herum und schaltete die Maschine ein. Sofort floss Blut aus ihrem Oberschenkel durch den Schlauch zur Maschine.
«Der Tod ist alles … stirb und begreif es …»
M anuela nahm ab. Am anderen Ende meldete sich Kieling, und zwar so lautstark, dass auch ich ihn noch hören konnte.
«Bei dem Lehrer ist nichts, sein Bruder ist Anwalt und droht mir mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Herzlichen Dank für diesen Tipp, Sperling. Und als würde das nicht reichen, ruft mich gerade der Kollege bei Ihnen vor Ort an und erzählt, Sie hätten ein Haus gestürmt. Mit einer Sondereinheit? Was läuft da für eine Scheiße bei Ihnen, Sperling? Sind Sie völlig übergeschnappt? Wer hat Sie zur Leiterin der Ermittlungen gemacht?»
«Ich hatte konkrete Hinweise …»
«Ich gebe keinen Pfifferling auf Ihre konkreten Hinweise. Kommen die etwa wieder vom diesem Schreiberling? Der verarscht uns doch nach Strich und Faden. So langsam habe ich den Eindruck, diese ganze Geschichte ist auf seinem Mist gewachsen.»
«Wenn Sie mich bitte kurz ausreden lassen …»
«Dazu bekommen Sie ausgiebig Gelegenheit, wenn Sie wieder hier sind. Sie wenden sich jetzt sofort an den Kollegen Habermann vor Ort, der übernimmt, und dann kommen Sie beide auf der Stelle zurück.»
«Herr Kieling», versuchte Manuela es erneut. «Es könnte sein, dass wir jetzt die richtige Spur zum Täter haben. Ich möchte Sie bitten, uns …»
«Nichts da! Sehen Sie zu, dass Sie ins Präsidium kommen, sonst lernen Sie mich kennen! Und bringen Sie diesen verdammten Schreiberling mit!»
Manuela ließ das Handy sinken und sah mich fassungslos an.
«Aufgelegt», sagte sie mit tonloser Stimme.
«Ich kann Kielings Ärger verstehen, aber vielleicht solltest du ihn zurückrufen. Er hat dich ja gar nicht zu Wort kommen lassen.»
«Du hast ihn doch gehört. Wir müssen abbrechen.»
«Manuela, ich bitte dich, das kann nicht dein Ernst sein. Unser Täter ist dadrinnen, und wahrscheinlich hat er Ann-Christin und Jan in seiner Gewalt. Wir müssen endlich etwas tun.»
Manuela trat von dem Grundstück zurück. «Werden wir auch. Wir kontaktieren
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